323) Jettchens-Ruhe bei Schönebeck. 1

In der Stadt Schönebeck giebt es auf dem Wege zum Schützenhause eine Stelle am Buschkanal, die mit etwas Holz bestanden ist und den sonderbaren Namen Jettchens-Ruhe führt. Allerdings könnte man aus dem Namen auf eine sehr späte Entstehung desselben schließen, allein dem ist nicht so, derselbe schreibt sich schon aus der alten Ritterzeit her. Es ist nämlich noch vor dem 13. Jahrhundert der Besitzer der Burg zu Schönebeck ein Ritter Wolf von Wolfseck gewesen, der hat einen Sohn gleiches Namens, einen wilden, rohen Menschen, gehabt, dem jedes Mittel seine Lust zu befriedigen recht war. Nun gab es dort auch einen alten Fischer, der eine Tochter, Namens Jette, besaß, die als Kind durch ihre Schönheit und freundliches Wesen den alten Ritter so für sich einnahm, daß derselbe ihr durch seinen Burgkaplan eine bessere Erziehung, als sonst ihr Stand mit sich brachte, geben und namentlich im Lautenspiel unterrichten ließ, einer Kunst, in der sie es bald zu einer großen Fertigkeit brachte. Mittlerweile starb der alte Ritter und Jette kam nicht mehr aufs Schloß. Der junge Wolf hatte sich mittlerweile in andern Ländern in Krieg und Fehden herumgetrieben, und als er nun nach seines Vaters Tode zurückkehrte, da er blickte er zufällig in der Kirche das Fischermädchen und erinnerte sich, daß er dieselbe schon früher in seines Vaters Hause als Kind gesehen, von ihr aber natürlich keine Notiz genommen hatte. Jetzt aber war es mit der zu einer vollkommenen Schönheit herangewachsenen Jungfrau etwas Anderes, der junge Ritter knüpfte sogleich ein Gespräch mit ihr an und forderte sie auf, vor wie nach zu ihm aufs Schloß zu kommen. Das sittsame Mädchen schlug es ihm aber rund ab, und als der Ritter sich hinter ihre Mutter steckte, um zu seinem Ziele zu gelangen, und die schwache Frau ihrer Tochter zuredete, sie möge doch dem Ritter zu Willen sein, so erfuhr dieselbe einen nicht minder ernsthaften Widerstand von Seiten derselben. Der Ritter mußte also auf andere Wege denken, das Ziel seiner Wünsche zu erreichen, er schützte Krankheit vor und Tiefsinn, zog sich von allen Gelagen und Festen seiner frühern Genossen zurück und schickte zu den alten Fischersleuten mit der dringenden Bitte, ihrer Tochter zu erlauben, auf das Schloß zu kommen und ihm die trüben Stunden [271] durch ihr Saitenspiel zu erheitern, es solle ihr durchaus nichts in den Weg gelegt werden. Zwar weigerte sich das Mädchen lange, allein auf das Zureden ihrer Eltern, die ihr vorstellten, der Ritter könne ja, wenn er wolle, sie mit Gewalt aufs Schloß bringen lassen, da sie nur arme Dienstmannen seien, gab sie zuletzt nach und ging fast täglich auf das Schloß hinauf, spielte und sang dem jungen Ritter vor und erfuhr von demselben auch wirklich nicht die geringste Beleidigung. So verging eine ziemliche Zeit und der Ritter ward wirklich von einer heftigen Leidenschaft für die Fischerstochter entbrannt, die er aber dem Mädchen zu verrathen Anstand nahm, denn heirathen konnte er sie doch nicht, und sie zu verführen hatte er auch durch die Trefflichkeit der Jungfrau bewogen aufgegeben. Nun hatte er aber einen Leibknappen, einen bösen, eiteln Menschen, der mehrmals die Jungfrau nach Hause hatte führen müssen. Derselbe verliebte sich auch in dieselbe und beschloß, sie mit Güte oder Gewalt zu zwingen seine Frau zu werden. Allein er ward von ihr entschieden zurückgewiesen und selbst das Zureden ihrer Mutter, die bei dieser Gelegenheit für ihre Tochter gut zu sorgen meinte, fand keine gute Aufnahme bei ihr, ja sie drohte sogar, den Ritter von der Zudringlichkeit seines Knappen zu unterrichten. Derselbe beschloß also, die Jungfrau zu verderben. Er begann also im Schlosse das Gerücht zu verbreiten, die Fischerstochter habe mit seinem Herrn ein sträfliches Verhältniß, und da sie nie an den mittlerweile wieder daselbst stattfindenden Gelagen und Festlichkeiten Theil nahm, so gelang es ihm auch den Freunden des Ritters glauben zu machen, dies geschehe blos darum, weil der Ritter dieses Verhältniß Niemanden wissen lassen wolle. Seinem Herrn dagegen spiegelte er vor, gerade an den Tagen, wo sie sich ängstlich vom Schlosse fernhalte, angeblich um nicht Zeugin seiner wilden Gelage zu sein, habe sie selbst im Walde Zusammenkünfte mit einem fremden Buhlen, weil sie sicher sei, von ihm nicht überrascht zu werden. Zwar wollte es der Ritter anfangs nicht glauben, allein zuletzt untergrub der Knappe doch das Vertrauen, welches jener auf die Tugend des Mädchens gesetzt hatte, und so gelang es ihm zuletzt, demselben den Befehl abzulocken, sie mit Gewalt zu ihm aufs Schloß zu bringen, damit sie sich seinem Willen füge. Dies geschah auch, das Mädchen wurde mit Vorwissen ihrer Mutter des Nachts im Schlafe ergriffen, auf die Burg gebracht und in ein Zimmer des obern Gestocks eingeschlossen, welches von Außen verschlossen ward, damit sie nicht entfliehen könne. Der von Wein und Liebe aufgeregte Schloßherr eilte sofort, als ihm die Nachricht von ihrer Ankunft gebracht war, herbei, doch wie ward ihm, als die Thüre aufgeschlossen ward: das Zimmer war leer und ein offener Fensterflügel zeigte den Weg an, durch den sie entkommen war, freilich nur, wie Jedermann glaubte, um der Schande durch einen freiwilligen Tod in der nahen Elbe zu entrinnen. Alle Nachforschungen nach ihr blieben vergebens und ein mittlerweile mit dem Polenherzoge ausgebrochener Krieg nöthigte den Ritter, dem Kaiser mit seinen Leuten zu Hilfe zu ziehen. Nach drei Monaten kehrte er jedoch mit ehrenvollen Wunden bedeckt wieder in die Burg seiner Väter zurück, hörte aber hier, daß sich seit seiner Abwesenheit am Buschkanal bei Schönebeck ein Gespenst in Gestalt einer weißen Frau sehen lasse, das ohne Zweifel der Geist der unglücklichen Fischerstochter sei. Der Ritter, welcher dem Aberglauben jener Zeit nicht wie Viele seines Gleichen huldigte,[272] ließ sich jedoch dadurch nicht täuschen, er vermuthete sofort, daß dies nicht der Geist, sondern die wirkliche Jette sei und erfuhr durch genaue Nachforschung sehr bald, daß allerdings ein weibliches Wesen, welches sehr große Aehnlichkeit mit dem Fischermädchen habe, im Dickicht in der Nähe des Buschkanals in einer aus Reißig gebauten Hütte lebe, hin und wieder mit einer Art Cither in der Hand die Häuser der benachbarten Dörfler besuche und Kranken schnell heilende Kräuter bringe und sie durch sanftes Saitenspiel erfreue, dafür auch Nahrungsmittel annehme, sonst aber Niemandem Rede stehe, sondern im Gegentheil schnell auf Nimmerwiederkehr zu verschwinden pflege, wenn sie sich irgendwie beobachtet glaube. Der Ritter beschloß, wenn möglich sich selbst zu überzeugen, ob sie die Gesuchte sei. Dies that er auch, er bekam sie öfters von Ferne zu Gesicht, allein nie kam sie ihm so nah, daß er mit ihr hätte sprechen können. Allein soviel erfuhr er von den umwohnenden Nachbarn, in deren Häuser sie zeitweilig gekommen war, daß sie wahnsinnig geworden sei. Er versuchte nun, ihr durch Andere Geschenke und Unterstützungen zukommen zu lassen, allein wie durch einen geheimen Instinkt erkannte sie sofort, was von ihm kam und wies es stets unbedingt zurück. Endlich gelang es ihm doch einmal, sie Abends eben an jener Stelle am Buschkanal, die von ihr noch jetzt den Namen haben soll, zu überraschen, allein sie fiel in Ohnmacht und als sie erwachte, war ebensowenig etwas mit ihr anzufangen als vorher. So trieb sie ihr Wesen noch lange Jahre fort, war aber wo möglich noch scheuer als sonst. Die Jahre gingen ohne Veränderung ihrer Person an ihr vorüber, sie trug stets dasselbe weiße Kleid, von dem Niemand sah, daß sie es je gewaschen oder gewechselt hatte; ihre Farbe blieb stets blaß, ihr Gesicht stets dasselbe und ihre schönen blonden Haare blieben immer in die langen dichten Flechten gerollt, wie sie sie einst getragen hatte. Eines Morgens fand man sie todt in ihrer Hütte und begrub sie unter einer großen Eiche, die neben derselben stand. Nach einigen Jahren aber verbreitete sich das Gerücht, sie lasse sich am Buschkanal sehen und wandele am Ufer der Elbe in ihrem weißen Kleide auf und ab. Nach kurzer Zeit begegnete dieses Wesen einem Knechte des Ritters und befahl demselben, jenem Knappen desselben, der an ihrem Unglück Schuld war, zu sagen, sie werde ihn in drei Tagen sprechen, und dem Ritter selbst erschien sie im Traume und befahl ihm, ihre Hütte zu besuchen, wo er mehr von ihr hören werde. Dies that er auch, er begab sich am dritten Abend darauf mit dem erwähnten Knappen an jene Stelle am Buschkanal und fand die weiße verhüllte Gestalt wirklich bei hellem Kerzenschein daselbst sitzen. Sie redete ihn an und sprach: »Du und Dein Knecht, Ihr werdet beide keines natürlichen Todes sterben; mein Geist wird so lange auf Erden weilen, bis auch der letzte Zweig Euerer Geschlechter untergegangen sein wird, denn ich werde mir jedes Jahr ein Opfer daraus suchen, bis ich durch das letzte erlöst sein werde.« Damit verlöschten die Lichter und die Gestalt war verschwunden. Nach Hause zurückgekehrt, geriethen Herr und Diener über den Vorfall in Streit, weil Ersterer Letzterem Vorwürfe über das Geschehene machte. Im Zorn hieb der Ritter nach dem Knappen, derselbe zog seinen Dolch und erstach seinen Herrn, suchte aber sofort den Tod in der Elbe, und von dieser Zeit an, behauptet man, läßt sich jedes Jahr an der Elbe zu wiederholten Malen um Mitternacht eine weiße Gestalt sehen, dann holt sich [273] die Elbe jedesmal ein Opfer, ein Kind, eine Jungfrau oder einen Jüngling, und der Volksmund sagt, daß wer sie sehe, auch ihr verfallen sei.

Fußnoten

1 Romantisch bearbeitet von Relßieg Bd. I. S. 167 etc.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Erster Band. Provinz Sachsen und Thüringen. 323. Jettchens-Ruhe bei Schönebeck. 323. Jettchens-Ruhe bei Schönebeck. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-4B12-9