431) Die Zerstörung der Hainerburg. 1

In uralter Zeit stand vor der Burgpforte der Stadt Mühlhausen ein sogenanntes Gan-Erben-Schloß (castrum imperiale) als unmittelbares Reichslehn, von mehreren adeligen Familien bewohnt und in dem Munde des Volkes unter dem Namen der Hainerburg bekannt, weil das Geschlecht der von Hagen daselbst seinen Sitz hatte. Die Burgherren, obwohl nicht geistlichen Standes, hielten sich zu dem Orden der Johanniter und ließen durch Priester und Scholaren ihren geistlichen Dienst und Obliegenheiten verwalten. Da nun das Kastell mit der Ringmauer in unmittelbarer Verbindung stand, so konnte man aus demselben in die Stadt gelangen, ohne das Thor zu passiren. Dadurch aber ward die Sicherheit der Stadt wesentlich gefährdet, denn erstlich ließen die Burgbewohner oft bei nächtlicher Weile verdächtige Fremde in die Stadt, dann aber benutzten sie auch diese Gelegenheit, des Nachts allerlei Unfug in der Stadt zu verüben, namentlich den Töchtern der Bürger nachzustellen und sie wohl gar zu entführen. Darüber führte der Rath Beschwerde beim Kaiser, allein die Gegner wußten dieselbe auch möglichst zu entkräften und so kam es, daß nach zwei Jahrhunderten die Sache immer noch nicht geordnet war. Endlich gestattete Kaiser Konrad IV. dem Stadtrath, die Stadt von der Burg durch eine Zwischenmauer zu trennen. Aus Rache über diese ihre Niederlage beim Kaiser suchten nun die Gan-Erben die Bürger auf andere Weise zu schädigen, indem sie die städtischen Felder möglichst durch Jagd zu zerstören beflissen waren. Es lebte nun um die Mitte des 13. Jahrhunderts zu Mühlhausen der Sage nach ein angesehener Bürger und Rathmann, Adam geheißen, und seines Zeichens ein Schlosser. Derselbe hatte sieben kräftige Söhne und eine wunderschöne Tochter, auf die er besonders stolz war und um welche ihn alle seine Freunde und Nachbarn beneideten. Allein gerade ihre Schönheit ward ihr Verderben, denn einer der Ritter von Hagen aus der Hainerburg beschloß, sie solle sein eigen werden, es möge kosten was es wolle. Da er nun durch Anträge und Schmeicheleien ihre Gunst nicht zu erlangen vermochte, so ersah er sich die Gelegenheit, wo eine Feuersbrunst in der Stadt ausgebrochen und in Folge davon das Mädchen allein zu Hause war. Er schlich sich mit einigen seiner Leute in das unbewachte Haus ein, überfiel die Jungfrau und schleppte sie auf die feste Hainerburg, wo er sie natürlich ohne große Mühe zu seinen [369] Lüsten zwang. Namenlose Wuth ergriff Rath und Bürgerschaft bei der Nachricht von diesem neuen Frevel ihrer bösen Nachbarn und man beschloß, in nächster Zeit ihre Zwingburg zu brechen. Dies dauerte aber dem beleidigten Vater und seinen tapfern Söhnen zu lange, sie erfuhren, daß ein Theil der Besatzung auf irgend einen Raubzug ausgezogen war, und beschlossen, auf eigene Gefahr hin die Burg zu ersteigen. Sie begaben sich zuvor in die Marienkirche und flehten die heil. Jungfrau um ihren Schutz und Beistand an, versprachen auch, daß wenn sie ihnen den Sieg erringen helfen werde, ihre Schwester ihrem Dienste zu weihen, und durch dieses Gebet gestärkt erstiegen sie noch dieselbe Nacht die hohen Mauern der Burg, überwältigten leicht die vom Schlaf gefesselten wenigen Vertheidiger derselben und warfen sich dann auf ihre Knie, um der heil. Jungfrau für ihre Hilfe zu danken. Und gleichsam neugestärkt und mit übermenschlicher Kraft ausgerüstet erhoben sich die acht Schlosser vom Gebete und machten sich sofort daran, die Mauern und festen Thürme zu zerstören. Und siehe, was Hunderten nicht möglich erschienen wäre, diese wenigen Hände brachen in einer Nacht den gewaltigen Bau und als der Morgen heranbrach, war von der Zwingburg nichts mehr übrig als Schutt und ein Trümmerhaufen. Das unglückliche Mädchen aber, welches man in der Burg gefunden, ward von ihren Verwandten in das Brückenkloster gebracht. Zwar ward die Stadt in Folge dieser Selbsthilfe vom Kaiser Rudolph im Jahre 1294 in die Reichsacht erklärt, aber nur zum Schein, denn bald verzieh ihr der gerechte Kaiser wieder, die Burg aber durfte niemals wieder aufgebaut werden.

Fußnoten

1 Nach Thüringen und der Harz Bd. VI. S. 15.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Erster Band. Provinz Sachsen und Thüringen. 431. Die Zerstörung der Hainerburg. 431. Die Zerstörung der Hainerburg. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-49E1-9