739) Die Sage von Otto dem Schütz. 1

Im Jahre 1326 hatte der Landgraf Heinrich von Hessen Elisabeth, die Tochter des Markgrafen Friedrich des Freudigen, zur Gemahlin genommen und mit ihr zwei Söhne und eine Tochter gezeugt. Den ältern Sohn Heinrich bestimmte er zu seinem Nachfolger, den andern, Otto, aber schickte er gen Paris, wo er studiren und dann ein Geistlicher werden sollte. Dazu hatte aber der junge Landgraf keine Lust, er kaufte sich also zwei gute Rosse, einen tüchtigen Harnisch und eine starke Armbrust und ritt ohne Wissen seines Vaters an den Hof des Herzogs von Cleve, wo er sich Otto Schütz nannte und um einen Dienst bat. Weil er nun ein starker und schlank gewachsener Mann war, so nahm ihn der Herzog an und hielt ihn so wohl, daß er ihn allen Andern vorzog und ihm als einem von Adel vier Pferde hielt; er verschickte ihn auch in vielen Angelegenheiten, die er sonst nicht Jedermann anvertraute. Dies dauerte nun sieben Jahre, bis endlich ein hessischer Edelmann, Heinrich von Homberg genannt, eine Wallfahrt gen Aachen gelobt hatte. Dieser war in seiner Jugend auch am Hofe des Herzogs von Cleve gewesen und wollte auf dieser Fahrt seinen alten Herrn einmal besuchen. Als er nun zu Cleve einritt, sah er Otto den Schützen, erkannte ihn und bezeigte ihm mit Verneigung und sonstiger Ehrenbezeigung die ihm als seinem Grundherrn gebührende Reverenz. Dies sah der Herzog vom Fenster aus und verwunderte sich, warum Homberg sich gegen Otto Schützen also ehrerbietig [696] bezeige, fragte ihn deswegen insgeheim, ob ihm derselbe bekannt sei und wie es um seine Verhältnisse stehe.

Homberg stellte sich nun auf den Wunsch Otto's, der ihm verboten hatte, ihm jemals wieder solche Ehrenbezeugungen vor den Leuten zu erweisen, als wisse er von Otto nichts mehr, als daß er von guter Abkunft und ein ehrlicher Gesell sei. Damit wollte aber der Herzog nicht zufrieden sein, denn er ließ sich bedünken, daß etwas mehr dahinter stecken müsse. Deshalb drang er so lange in Homberg, bis dieser Alles gestand, wer er sei und wie er nicht mehr als einen Bruder gehabt, welcher ohne Erben gestorben, und der Vater gar alt sei und nicht anders wisse, wie daß sein zweiter Sohn Otto auch längst todt sei, denn er habe von ihm in vielen Jahren nichts vernommen, er habe ihn zum Studiren nach Paris geschickt, dazu habe aber Otto keine Lust gehabt, sei also darüber weggekommen und scheine ganz verloren gegangen zu sein. Deswegen sei nun der alte Landgraf Heinrich, sein Vater, auf den Gedanken gekommen, das Land zu Hessen seinem Tochter-Manne, dem Herzog von Braunschweig, zu vermachen, worüber das Land in große Trauer versunken sei, weil sie Alle einen Abscheu gegen den Braunschweiger empfänden. Das Erbe stehe also Otto dem Schützen zu. Er rieth also dem Herzog, Otto'n seine Tochter zur Frau zu geben, besser könne er sie nicht versorgen. Damit brachte aber Homberg so viel zu Wege, daß der Herzog Otto'n seine Tochter Elisabeth zur Frau gab. Dies hat nun den alten Landgrafen sehr gefreut, daß er seinen Sohn Otto wiedergefunden hatte und sich dieser so wohl verheirathet hat. Derselbe ist nun auch mit seiner Frau zu Marburg angelangt und hat daselbst 1352 und später zu Spangenberg Hof gehalten, ist aber im Jahre 1361 mit Gift ums Leben gebracht worden.

Fußnoten

1 S. Spangenberg, Adelspiegel Th. II. Bd. IX. C. 3. Bl. 120. Von Steinen Th. I. S. 267 etc.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Erster Band. Westphalen. 739. Die Sage von Otto dem Schütz. 739. Die Sage von Otto dem Schütz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-436A-9