[76] 63) Die Sage von Iron, dem Markgrafen von Brandenburg. 1

In dem Lande, welches Bertengenland (Britannien) heißt, war zur Zeit Alteus des Heunenkönigs ein König, Artus genannt: das war ein mächtiger Mann und schon bei Jahren, der hatte zwei Söhne, der ältere hieß Iron, der jüngere Apollonius. Da ward er krank und starb und es kam der gewaltige König Isung mit seinen eilf Söhnen, alles starke Recken ohne gleichen, nach Britannien und bemächtigte sich des Reiches. Des Artus beide Söhne flohen hinweg mit ihren Mannen und zogen weit umher, bis sie nach Etzelenburg zu König Etzel in Heunenland kamen, welches dieser sich kurz vorher unterworfen hatte. Etzel nahm sie zu seinen Mannen auf und machte Iron zum Grafen von Brandenburg und Apollonius zum Grafen von Thüringen am Rheine. Apollonius war einer der schönsten Männer und ein starker ritterlicher Held. Auch Iron war schön und stattlich, stark und gewandt in Ritterschaft, seine größte Lust aber war die Jagd.

In seinem Lande war der Walslöngwald 2, auf der Grenze westlich an Frankenland. 3 Dort herrschte der mächtige und tapfere König Salomon; der hatte mit seiner Gemahlin Herburg eine ebenso genannte Tochter, die schönste Maid und ihm so lieb, daß schon mancher Königssohn vergeblich um sie geworben hatte. Apollonius hörte von ihr und sandte seine Mannen hin, um um sie zu werben. König Salomon nahm sie wohl auf, aber nicht ihr Gewerbe, und unverrichtet kamen die Boten wieder heim.

Mißmuthig darob fuhr Apollonius zu seinem Bruder Iron, sagte ihm den Schimpf und sein heftiges Verlangen nach der Schönen und bat um seinen Beistand, sie mit Gewalt zu gewinnen. Iron fand es bedenklich bei Salomons großer Macht, und seine Gemahlin Isolde, die schönste und weiseste der Frauen, rieth deshalb, daß beide selber mit wenigen stattlichen Rittern nochmals werben sollten, und verhieß einen andern Rath, wenn es wieder fehlschlüge. Sie gab dem Apollonius einen goldenen Fingerring, welchen ihr Vater ihrer Mutter zur Verlobung gegeben und dessen Stein die Kraft hätte, wenn ein Mann ihn einem Weibe anstecke, ihr unwiderstehliche Liebe zu erregen. Beide dankten für den Rath, befolgten ihn und reisten nach Frankenreich.

König Salomon empfing sie wohl und veranstaltete ein großes Gastmahl. Die Brüder brachten nun die Werbung an, Salomon aber versagte, weil Apollonius kein König wäre. Apollonius sah unterdessen Herburgen, und sie gefiel ihm so sehr, daß er um so mehr auf sie gereizt wurde. Er offenbarte ihr seine Bewerbung, sie aber ergab sich in den Willen ihres Vaters. Da betheuerte Apollonius ihr seine heftige Liebe, und steckte ihr zum Pfande derselben den Ring an den Finger, und sie entließ ihn freundlich.

Unmuthig rüsteten sich die Brüder zur Heimfart, und vom Rosse herab drohte Apollonius, noch einst den Schimpf zu rächen. Salomon achtete es [77] gering. Seine Tochter aber, seitdem sie den Ring erhielt, liebte den Apollonius so sehr, daß sie lieber mit ihm bei Nacht leben wollte, als mit ihrem Vater daheim bei Tage.

Und als Apollonius hinwegritt, trat sie vor der Burg mit ihrer Mutter ihm entgegen, küßte ihn und gab ihm zum Abschiede einen großen und schönen Apfel, roth wie Blut. Unterwegs spielte Apollonius mit dem Apfel, warf ihn in die Luft und fing ihn wieder auf. Einmal faßte er ihn so hart, daß er in zwei Stücke zerbrach. Da fand er darin einen Brief, worin Herburg ihm ihre Gegenliebe bekannte und ihn bat, auf ihre Botschaft zu kommen und sie zu entführen, doch ohne dem Reiche ihres Vaters zu schaden. Da ward Apollonius vergnügt, verbarg es aber, und ritt heim zu seiner Burg Tyra. Auch Iron war daheim in seiner Burg, und beide rüsteten sich zu der Heerfahrt, welche über ein halbes Jahr verabredet war.

Noch vor Ablauf dieser Zeit kam eines Abends ein Spielmann nach Tyra und brachte dem Apollonius heimlich einen Brief von Herburg, worin sie ihm meldete, daß ihr Vater zu einem Gastgebote König Ermenrichs nach Rom gefahren; drum möchte er eiligst mit zehn bis zwölf Rittern heimlich zu ihr kommen. Apollonius war erfreut, rüstete sich mit zehn Rittern und verließ heimlich die Burg und ritt auf ungebahnten Wegen, Nacht und Tag, bis ins Frankenland, und hielt dicht vor der Königsburg im Gebüsche. Morgens früh ging Apollonius allein auf Kundschaft. In einem kleinen Dorfe ließ er sich von einem Weibe ihr Kopftuch und ihren Stock geben für seinen Goldring und Rock, verkleidete sich und ging auf die Burg. Er trat in das Frauengemach der Königin und nannte sich Heppa. Die Königin erinnerte sich dieses fahrenden Weibes, welches eine der ärgsten Huren gewesen und größer als der längste Kerl war. Die Mädchen trieben ihren Scherz mit ihr und Herburg fragte sie, wie manchen Mann sie wol in Einer Nacht genommen. Heppa that, als könnte sie nicht so höflich in Fränkischer Zunge reden und hob alle ihre Finger über den Kopf auf.

Alle lachten, Herburg aber verstand, daß Apollonius so viel Mann mit sich gebracht. Da nahm sie Aepfel, vertheilte sie unter ihre Frauen und warf der Heppa auch einen zu. Diese zerschnitt und aß ihn auch, fand aber darin einen Brief und beurlaubte sich. Die Königin schenkte ihr noch ein schönes Hemde und Kopftuch. Sobald er allein war, las Apollonius den Brief, worin Herburg versprach, in der Nacht zur verabredeten Stelle zu kommen. Er ging nun wieder zu seinen Mannen und erwartete die Nacht. Um Mitternacht kam Herburg zu dem Gebüsche und rief ihn lieblich. Er sprang herfür, umarmte und küßte sie und schwang sich alsbald mit ihr zu Rosse. Der armen Frau, welche Herburgen von der Burg begleitet hatte, schenkte er das Hemd und Kopftuch von der Königin, und gab ihr einen Brief an diese, worin er sie tröstete, daß ihre Tochter bei ihm wäre. Dann ritt er heim nach Tyra, wo Alle sich mit ihm freueten. Er wollte sich nun mit seiner Geliebten vermählen, sie aber bat ihn, sich zuvor mit ihrem Vater zu versöhnen. Nach einem Monate sandte er Boten hin und bat um Sühne. Salomon, obwohl beleidigt, willigte ein und eine Zusammenkunft wurde bestimmt. Unterdeß hatte aber Herburgen ein schweres Siechthum befallen und wenige Tage nach Heimkehr der Boten starb sie. So zerschlug sich die Aussöhnung und blieb Feindschaft zwischen Salomon und Apollonius und Iron.

[78] Iron zu Brandenburg war ein so eifriger Jäger mit Hunden und Habichten, daß er oft sieben, neun, zwölf Nächte in seiner Burg blieb. Solches gefiel seiner Frauen Isolden übel. Als er sich einst wieder zu einer zwölftägigen Jagd rüstete, verwies sie es ihm, daß er des Waidwerkes wegen Land und Leute versäumte, und warnte ihn vor den Marken seines Feindes, König Salomons. Iron bekannte die Jagd als seine höchste Lust und fürchtete sich nicht, selbst in Salomons Marken zu jagen. Isolde schwieg unmuthig. Es war Winter und frischer Schnee gefallen. Frühmorgens stand Iron auf und rief seinen Waldgesellen. Alsbald stand auch Isolde auf, ging hinaus vor die Burg zu einem schönen Lindenbaum, entkleidete sich ganz und ließ sich lang in den Schnee fallen. Dann stand sie wieder auf, zog sich an und ging heim. Iron saß schon beim Frühstücke, und sie bat ihn, er möchte doch lieber in der Nähe jagen, so daß er Abends heim reiten und in seinem Bette schlafen könnte. Iron erwiderte, dort umher gäbe es nur kleine Thiere, nach welchen er seine Hunde nicht loslassen möchte. Isolde aber behauptete, es wären in der Nähe solche Thiere, wie er weit und breit nicht jagen würde, und eben habe sie vor der Burg das beste von ihnen im Schnee gespürt; wenn er es aber nicht jagte, würde ein anderer Mann es jagen. Sogleich stand Iron auf und ging mit ihr hinaus zu dem Lindenbaume. Da fragte ihn Isolde, ob er an dem Lager das Thier erkennte. Iron erkannte im Schnee die Spur des Frauenbildes, und Isolde wiederholte, daß ein anderer Mann das Thier jagen würde, wenn er nicht wollte. Iron aber gelobte, daß niemand es jagen sollte, außer ihm. Er ging mit ihr zurück in die Burg, ließ die Rosse wieder absatteln und die Hunde anbinden, und blieb daheim.

So gieng ein Halbjahr dahin, da kam eines Abends ein Wandersmann auf die Hofburg und bat um Herberge. Iron bewirthete ihn gut und fragte ihn mancherlei Mähre. Der Wanderer erzählte, wie er von König Salomon in Franzien käme, bei welchem er den ganzen Winter gewesen, und daß derselbe, ein gewaltiger Waidmann, meist in dem Walslöngwalde jagte, wo unter Bären, Hirschen und allerley Gewild, insonderheit ein Wisend oder Auerochs gienge, das stärkste aller Thiere, welches Salomon schonte zur Zucht, so daß bereits zehn Wisende beisammen wären. So unterhielten sich beide den ganzen Abend beim Trunke. Am Morgen wanderte der Mann weiter, Iron aber dachte seiner Rede nach.

Nun fanden des Apollonius Mannen auf einer Jagd im Walde viele Thiere, Hirsche und Bären, von Hunden erbissen, und sie vernahmen von einigen Waldbewohnern, daß König Salomons Leute dort gejagt hatten, und berichteten solches ihrem Herrn. Dieser nahm es sehr übel, meldete es durch Boten und Briefe seinem Bruder und forderte ihn mit seinen Hunden und Waidmännern zu einer Jagd auf.

Alsbald rief Iron seinen besten Waidmann Nordian, seine Hunde zu koppeln, als Stappen seinen besten Bracken (Leithund), und Stutten und Bracka, und alle die besten Hunde, auch Loska die Petze und Ruska den raschesten Jäger. Da umhalsete Isolde ihren Gemahl und bat ihn, diese Jagd zu meiden. Iron aber wollte auf seines Bruders Botschaft nicht ausbleiben; und sie bat ihn weinend, nur nicht in dem Waslöngwalde zu jagen. [79] Er wollte es nicht zusagen, wenn Salomon in seines Bruders Walde gejagt hätte; und sie verkündete ihm das große Unheil, welches, zumal um die Wisende, daraus entstehen würde.

Da ritt Iron aus Brandenburg mit seinen Waidmannen und Hunden, und es wird gesagt, daß nie bessere Jagdhunde gefunden worden, und die zwölf besten darunter werden alle in deutschen Liedern genannt; es waren ihrer aber sechszig. So kam er zu seinem Bruder und ritt mit ihm und sechszig Jägern zuvörderst in den Ungarwald, wo sie einige Tage jagten. Darnach aber ritten sie Tag und Nacht, immerfort, bis in den Walslöngwald, ließen ihre Hunde los und erlegten Hirsche und Hinden, und Bären und allerley Thiere. Da spürten sie auch den Wisend mit drey Jungen aus und hetzten sie; diese aber tödteten manchen guten Hund, der alte Wisend entkam und nur die drei Jungen wurden erjagt. In allem erlegten die Brüder hier sechszig große Thiere, Hirsche, Bären und Wisende, ließen sie aber liegen und nahmen nicht mehr davon, als was ihre Hunde fraßen und ihre Knappen brieten. So blieben sie einen Monat im Walslöngwalde und Iron rieth nun, heimzureiten, nachdem sie ihren Schaden zwiefältig gerochen. Apollonius war noch nicht zufrieden, weil sie so manchen guten Hund verloren und den großen Wisend doch nicht erjagt hätten, Iron aber gelobte, noch einmal wiederzukommen und es nachzuholen; und beide ritten heim und waren fröhlich.

König Salomon aber vernahm die Zeitung aus dem Walslöngwalde, ritt mit vierzig Mannen und vielen Hunden dahin, und sah den Schaden und die Schande an den unzähligen erlegten Thieren, und manche Feuerstatt der Jäger. Er ritt hierauf nordwärts in den Ungarwald und jagte da so gewaltig, daß der Wald fast ganz verödet war.

Apollonius hatte seinen Waidmann Rolf mit einigen Rittern in denselben Wald auf die Jagd geschickt, und als sie vergeblich umritten, fanden sie die erlegten Thiere; sie spürten den Jägern nach und trafen sie sammt den Hunden auf einem Gereute. Rolf ritt kühnlich auf sie zu, erkannte den König Salomon und fragte ihn, weshalb er gekommen. Salomon erwiderte, seinen Schimpf zu rächen. Da fragte ihn Rolf, ob er sich getraute, hier zu warten, bis er es seinem Herrn gemeldet hätte. Aber Salomon wollte das so wenig, als Apollonius seiner im Waslöngwalde gewartet hätte, hielt sich für genugsam gerochen und ritt heim.

Rolf berichtete Alles an Apollonius und dieser meldete es seinem Bruder. Iron rief zornig seinen Waidmann Nordian und gebot ihm, alle Hunde zu nehmen und sich auf eine Ausfahrt von zween Monaten zu bereiten. Da ward Isolde betrübt und weinte bitterlich; sie umarmte ihren Gemahl und bat ihn, lieber daheim auf seinem Lager bei ihr zu bleiben, und verkündete ihm das Unheil von dieser Jagd. Iron bestand auf seinem Willen; da bat und weissagte ihm dasselbe sein zwölfjähriges Töchterlein Isolde. Iron versagte auch ihr und rief seine Mannen auf; Weiber sollten ihn nimmer zurückhalten. Die junge Isolde aber wiederholte die Weissagung.

Iron ritt nun mit seinen Jägern und Hunden aus Brandenburg nach Tyra. Er fand seinen Bruder siech, wollte aber auf ihn nicht warten, sondern verstärkte nur sein Gefolge und ritt mit sechzig Rittern rastlos fürder, [80] bis in den Walslöngwald. Dort jagte er Alles, was ihm vorkam, und ließ kein Thier am Leben.

Eines Tags spürte er auch den großen Wisend aus. Dieser wandte sich gegen die Hunde und wehrte sich mit den Hörnern. Da kam zuerst Nordian heran, mit den beiden besten Hunden, Stutt und Stapp, am Seile; darnächst Iron mit Paron und Bonicke; dann der Truchseß mit Bracka und Porla, und der Schenke mit den Petzen Ruska und Luska, von welchen alle die besten Jagdhunde Irons gefallen waren. Iron hieß zuvörderst den Truchsessen seine Hunde loslassen: der Wisend aber stieß beide durch den Leib und schleuderte sie von seinem Geweihe todt hin. Darauf ließ Iron den Schenken seine Hunde anhetzen: Luska unterlief den Wisend und packte ihn beim Gemächte, daß er zurückwich, dann aber sprang er mit beiden Hinterfüßen ihr auf den Rücken und zerbrach ihr den Rückgrat, und die Ruska stieß er mit dem Geweihe zu Tode. Nun ließ Nordian seine Hunde los: Stapp sprang dem Wisend auf den Hals und biß sich fest, aber der Wisend schleuderte ihn mit seinem Haupte so gewaltig empor, daß alle Gebeine des Hundes zerbrochen waren, bevor er zur Erden kam, und als auch Stutt ihm auf den Hals springen wollte, stieß er ihn mit dem Gehörne und schleuderte ihn todt nieder. Hierauf ward der Wisend scheu und floh. Iron hetzte seine Hunde und jagte nach.

In Irons Gefolge war ein Ritter, Waldemar, groß und stark, aber höchst verzagt: als der Wisend ihm nahete, sprang er vom Rosse und stieg auf einen Baum; der Wisend lief unter demselben Baume hin, da kletterte der Furchtsame hoch hinauf in die Aeste, brach aber ein und fiel herab, gerade zwischen die Hörner des Thieres und kam auf dessen Hals zu reiten; er klammerte sich fest mit den Händen, und fuhr so auf dem nun noch wilder gewordenen Wisend dahin, die Hunde und Jäger hinterdrein. Iron sah die wunderliche Reiterei; Nordian erkannte den Gesellen, welcher das Thier bald ermüden werde, und Alle jagten nach, so schnell die Rosse mochten. Der Wisend mit seinem Reiter, seinen sieben Jungen, den bellenden Hunden und dem Jägerhalloh hinterdrein, lief nordwärts bis in den Ungarwald: dort überholten ihn die Hunde Paron und Bonicke und packten ihn an; er konnte unter der Last des Reiters sein Geweihe schwer zur Wehr bewegen; so kam Iron heran mit seinem Jagdspieß und erlegte das Thier. Dabei rühmte er den Waldemar, welcher, sonst so feige, heute das kühnste Wagestück vollbracht, und versprach ihm Belohnung. Nordian und die übrigen Jäger kamen auch heran und priesen Irons Heldenthat; keiner aber wußte, außer Waldemar selber, wie es sich zugetragen hatte. Sie bereiteten sich das Wild zum fröhlichen Mahle und gaben auch den Hunden ihr Theil davon. Dann ritten sie heim und Iron freute sich seiner Rache.

Als Iron Brandenburg nahete, kamen seine Gemahlin und Tochter Isolde ihm entgegen und empfingen ihn mit Freuden. Iron nahm seine Tochter und führte sie dem Ritter Waldemar als Lohn zu. Waldemar dankte, wurde mit ihr vermählt und war fortan Iron's Graf.

Nach manchem Tage mahnte Iron seinen Waidmann Nordian an die im Ungarwalde zurückgebliebenen jungen Wisende: jetzt wäre es wohl Zeit, sie zu jagen. Nordian war bereit dazu. Das hörte Isolde, sie weinte bitterlich, [81] umhalsete ihren Gemahl und bat ihn, daheim zu bleiben. Iron wollte nicht, da verkündete sie ihm Unheil aus einem Traume, und Iron versprach, nur in seinem Walde zu jagen.

Er ritt dahin mit zwölf Rittern und Hunden, und kam in dreien Tagen an den Ungarwald. Am Abend ritt er hinein und sah darin manch großes Feuer. Als nämlich König Salomon erfuhr, daß Iron seinen großen Wisend und soviel andere Thiere gejagt hatte, saß er auf mit fünfhundert Rittern und ritt in den Ungarwald, sich zu rächen. Dort schlug er sein Gezelt auf, und gedachte in der Nacht des Apollonius Gebäude zu verbrennen. So traf ihn Iron dort und ritt auf ihn ein. Als aber seine Mannen die große Schar der Gegner sahen, flohen sie alle in den Wald. Iron wollte jedoch lieber sterben als fliehen, und auch sein getreuer Geselle Nordian verließ ihn nicht. Doch wurden beide überwältigt, gefangen und gebunden. Darnach zog Salomon wieder in sein Reich, und ließ Iron ins Gefängniß setzen.

Waldemar und die andern geflohenen Ritter kamen heim mit dieser Zeitung, worüber große Trauer im Lande war.

Als Iron drei Nächte im Gefängnisse gelegen hatte, kam der Thurmhüter und brachte ihm Speise. Iron ließ durch ihn den König um eine Unterredung bitten. Salomon kam, und Iron bat ihn, Nordianen mit einer Botschaft nach Brandenburg zu entlassen. Salomon gewährte, obwohl Iron es nicht verdient hätte. Und Iron sandte den Nordian heim zu Isolden und bat sie, mit den besten Kostbarkeiten seines Reiches zu kommen, um ihn auszulösen.

Nordian ritt hin und traf im Ungarwalde den Apollonius mit gewaffneter Schaar auf der Heerfahrt gen Frankenland, seinen Bruder zu befreien; es hatte ihn hier aber ein schweres Siechthum befallen, und wenig Tage darauf starb er und das Heer fuhr wieder heim.

Nordian eilte nach Brandenburg und brachte Isolden Irons Schreiben. Isolde gebot ungesäumt eine Schätzung über das ganze Reich, brachte großes Gut, an Gold und Silber und edlen Kleinigkeiten zusammen, und belud damit einen Wagen. Dann fuhr sie zu König Etzeln, Irons Oberherrn, und bat um Briefe an König Salomon, auf daß er ihren Gemahl freiließe. Etzel gewährte, weil gute Freundschaft zwischen beiden bestand, und Salomon den Iron nicht Etzels wegen befehdet hatte.

Hierauf fuhr Isolde nach Frankenland zu König Salomon, und brachte ihm Etzels Brief. Sie wurde wohl empfangen, und der König setzte sie neben sich und die Königin. Nach diesem ersten Abend stand Isolde auf, knieete vor den König, klagte ihm ihr Leid, und erbot ihm alle die mitgebrachten Kostbarkeiten, Gold und Silber, Purpur und Perlen, Rosse und Rüstungen und manchen adligen Ritter zum Lösegeld für ihren Gemahl. Salomon lobte ihren Edelmuth und hieß sie mit all ihren Kostbarkeiten heimfahren, weigerte sich jedoch, ihren Gemahl, der ihm soviel Schimpf und Schaden gethan, loszugeben. Da stand seine Gemahlin auf, umhalsete und küßte ihn, und bat für Isolden, und mahnte ihn zugleich an Etzels, ihres liebsten Freundes, Fürsprache. Hierauf gebot Salomon seinen Rittern, den Gefangenen aus dem Thurme zu holen. Das geschah und Salomon gab ihn seiner edeln Gemahlin und seinem Herrn, König Etzeln zurück. Isolde umarmte [82] ihren Gemahl und küßte ihn und beide waren herzlich vergnügt. Dann dankte sie dem König für die Gnade. Salomon setzte nun den Iron neben sich auf einen Hochsitz und ließ seine Knappen ihn bedienen. So blieben sie dort über Nacht.

Am Morgen stund Iron mit dem Gefolge seiner Gemahlin vor König Salomon und beschwur mit zwölf Rittern die Sühne, und daß er nimmer diese Gefangenschaft rächen wollte. Reich beschenkt von König Salomon fuhren Iron und Isolde heim nach Heunenland.

Zuvörderst kam Iron zu König Etzeln, meldete ihm seine Sühne, und fragte, was er nun über ihn geböte. Etzel hieß ihn, seine Mark wieder einnehmen, sowie er zuvor sie gehabt hatte. Iron dankte ihm für seine Gnade und fuhr heim.

Nicht lange darnach ward Irons Gemahlin, Isolde, siech und starb. Iron betrauerte sie als seinen größten Verlust.

Hierauf fuhr König Etzel zu einem Gastgebote König Ermenrichs nach Rom und mit ihm viele seiner Häuptlinge, darunter auch Iron von Brandenburg, in allem hundert Ritter und viele Knappen. Sie kamen in Amelungen-Land zuvörderst nach Breisach zu Herzog Hache, genannt Harlunger Trost. 4 Hier wurden sie köstlich bewirthet und am Abend schenkte ihnen des Herzogs Gemahlin Bolfriana den Wein ein. Diese war (eine der neun Schwestern) von Drachenfels und die minniglichste der Frauen. Sie ersah da bei dem König einen großen Mann, der hatte langes schönes Haar wie geschlagenes Gold, eine weiße Haut, ein schönes Antlitz, helle Augen und weiße Hände: dieser, der schönste Mann in der ganzen Gesellschaft, war Graf Iron von Brandenburg. Bolfriana blickte ihn oft verstohlen und freundlich an; und auch Iron bemerkte ihre Schönheit, achtete wenig des Trinkens und ward ganz liebesiech. Die Uebrigen aber tranken lustig, bis Alle zu Boden lagen: da verständigten sich Iron und Bolfriana über ihre Liebe, und Iron gab ihr den Ring, welchen Apollonius einst an Herburg gegeben hatte.

Am Morgen zog Etzel fürder zu Ermenrich nach Rom. Bei diesem Gastmahle war auch Dietrich mit Wittig und Heime; und Dietlieb bestand damals den Wettkampf mit Walther von Wasgenstein.

Auf der Heimreise war Etzel wieder bei Hache in Breisach zu Gaste. Und da gelobten sich Iron und Bolfriana stäte Minne, wenn sie auch nie mehr zusammen kämen, und verabredeten Wahrzeichen. Dann fuhr Etzel heim nach Heunenland und Iron nach Brandenburg, wo die Jagd fürder seine Lust war.

Nach einiger Zeit rüstete sich Iron mit Nordian, Jägern und Hunden zu einer Ausfahrt auf zween Monden. Sie ritten aus und jagten lange auf öden Marken. Dann ritt Iron allein südwärts in Amelungenland nach Breisach. Da vernahm er, daß Hache mit Dietrich zu einem Gastgebote bei Ermenrich in Rom geladen war, und sandte einen Ritter in die Burg mit einem Briefe an Bolfriana um eine Zusammenkunft. Der Ritter kam als Spielmann verkleidet in den Saal zu einem großen Trinkgelage. Bolfriana schenkte dem Herzog ein und trat eben zu einer Kanne, welche der Schenke [83] hereingebracht hatte; da gab ihr der Bote den Brief und das Wahrzeichen. Sie steckte den Brief in ihren Säckel und bestellte Iron zur Nacht, nach Hache's Abfahrt, in die Burg. Dann nahm sie die Kanne und schenkte dem Herzog ein. Dieser nahm den Becher, trank ihr zu, und hieß sie neben ihm sitzen und mit ihm trinken. Das that sie, ward trunken und schlief ein. Der Herzog hieß sie zu Bette tragen, und seine Ritter legten sie in ihren Kleidern auf das Bette, an welchem zu den Häupten und Füßen sechs Kerzen brannten. Dann ging er selber schlafen, und als der Kammerdiener ihn entkleidet hatte, verschloß er die Thüre, nahm seiner Frauen den Säckel ab, und fand den Brief, in welchem Iron sie zu einer Zusammenkunft in dem nahen Walde einlud, sobald ihr Gemahl hinweg wäre. Dieser steckte den Brief wieder an seinen Ort und legte sich schlafen. Frühmorgens weckte er Bolfrianen und war sehr freundlich zu ihr. Dann ritt er mit zwölf Rittern, wohlgerüstet und gewaffnet, gen Rom.

Als sie durch den nahen Wald bis zur neunten Stunde geritten waren, ließ der Herzog wieder umkehren, weil er Dietrichen noch daheim erwarten müßte, um zusammen nach Rom zu reiten. Sie kamen wieder in den Wald, und bald nach Sonnenuntergange sahen sie einen Mann daher reiten, mit zween Hunden, einem Habicht auf der linken Hand, und einem goldnen Habicht und Hund in seinem glänzenden Schilde. Daran erkannte Hache den Grafen Iron von Brandenburg und rief sogleich seine Mannen auf, ihn zu erschlagen; er zog sein Schwert und ritt zuvorderst auf ihn ein. Iron erkannte auch ihn an dem goldnen Leuen im rothen Schilde. Beide rannten zusammen und schlugen auf einander. Iron wehrte sich ritterlich, stürzte aber zuletzt mit schweren Wunden todt vom Rosse. Hache ließ ihn liegen, ritt zu einem ihm gehörigen Hause im Walde und beherbergte da diese Nacht. Denselben Abend kam Dietrich von Bern mit seinen Mannen, darunter Wittig und Heime, nach Breisach, und übernachtete dort bei guter Bewirthung. Am Morgen ritten sie fürder durch den Wald und fanden den todten Mann, bei ihm das ritterliche Roß, welches gegen sie biß und schlug und nicht von seinem Herrn weichen wollte, und zween Hunde, welche ihn nicht anrühren ließen, und auf einem Baume über ihm saßen zween Habichte und schrieen laut. Dietrich schloß daraus, daß es ein trefflicher Mann sein müßte, ließ Alle absteigen, und erkannte den Grafen Iron von Brandenburg. Er beklagte ihn und hieß ihn dort bestatten. Sie machten ein Grab, legten den Todten mit all seinem Heergeräthe hinein und machten aus Bäumen und Steinen ein würdiges Grabmal über ihm. Während der Arbeit gesellte sich Hache zu ihnen und gestand Dietrichen, daß er den Iron erschlagen, weil derselbe in seiner Mark mit List und Verrath ein zweifüßiges Thier jagen wollte. Darauf ritten alle fürder nach Rom.

Als Iron zu lange ausblieb, ritt Nordian mit drei Rittern ihm nach. Sie sahen im Walde das Grabmal, dabei das Roß, die Hunde und Habichte, und fanden darin den Leichnam ihres Herrn mit schweren Wunden. Sie nahmen die treuen Thiere zu sich und weilten doch so lange in Amelungen-Land, bis sie gewiß waren, daß Herzog Hache ihren Herrn erschlagen hatte. Dann ritten sie heim nach Heunen-Land und brachten König Etzel die Mähre. Dieser setzte nun einen andern Grafen über Brandenburg und die Mark Irons.

Fußnoten

1 Auszug aus der Wilkina Saga S. 220-247 bei Fr. Hr. von der Hagen, Heldenbilder aus den Sagenkreisen Karls des Großen etc. Breslau 1821. Th. II. S. 386-411. Unter Iron könnte der Markgraf Otto I. († 973), ein berühmter Jäger, gemeint sein.

2 Der Schwarzwald scheint gemeint, obwohl der Name und die Sage auf den Wasgenwald weist.

3 Das Rheinische Francien.

4 Amelungen-Land ist das Gothenreich in Oberitalien, und unter Breisach ist Brescia zu verstehen.

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TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Erster Band. Die Marken. 63. Die Sage von Iron, dem Markgrafen von Brandenburg. 63. Die Sage von Iron, dem Markgrafen von Brandenburg. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-3A00-B