VIII.

Zu gewissen Zeiten war aber auf diesem wunderreichen Berge ein Schloß zu sehen, und deutlich beobachtete man dann aus der Ferne, wie dessen Bewohner daselbst ihr Wesen trieben. Niemand aber wagte es so leicht, persönlich dort einen Besuch abzustatten und das Wesentliche jenes Schlosses näher zu untersuchen. Im Gegentheil warnte man einander eher mit bedenklichen Mienen davor, um sich nicht größeren Gefahren auszusetzen, als man vielleicht zu übersehen im Stande sein mochte. Dennoch aber geschah es einst, daß ein Bürger aus der jenem Berge benachbarten Stadt Löbau, ohne daß er selbst davon wußte, jenes Schloß und seine Bewohner näher kennen lernte. Die Geschichte, die man sich davon zu erzählen weiß, ist folgende. Vor langer Zeit war einst ein Schuhmacher aus Löbau in dem etwa zwei Meilen davon entfernten Städtchen Weissenberg zu Markte gewesen, wobei ihn sein Weg am Stromberge vorbeiführte. Als er spät Abends wieder nach Hause kehrte, verirrte er sich im Dunkeln in der Gegend des Berges. Lange schon ohne Weg und Steg im Finstern herumirrend, gewahrte er endlich auf der Höhe jenes Berges den Schimmer eines Lichtes. Ohne irgend etwas Unheimliches zu ahnen, ging er darauf zu, staunte aber nicht wenig, als er bei mehrerer Annäherung ein schönes großes und erleuchtetes Schloß gewahrte, das ihm nicht im Geringsten bekannt war. Denn daß es das berüchtigte Strombergschloß sein könnte, ahnete er entweder nicht, oder er kannte auch die Sage davon gar nicht einmal. Froh, sich endlich aus der Verlegenheit helfen zu können, suchte er den Eingang, um dort sich eine Laterne zu borgen, mit deren Hülfe er seine Reise besser und bequemer zu beendigen dachte. Ohne weitere Schwierigkeiten gelangte er in das Zimmer des Schlosses, welches erleuchtet war, und fand darin zwei Herren. Einer saß an einem Tische und schrieb eifrig, was ihm ein Anderer, der mit verschlungenen Armen in der Stube auf- und abging, in die Feder zu sagen [241] schien. Letzterer redete den Schuhmacher in einem rauhen Tone an und fragte ihn mit kurzen Worten, was er wolle. Dieser erzählte nun seine Geschichte und trug ihm sein Anliegen vor, erhielt aber für jetzt blos die Antwort von ihm, daß er es sich vor der Hand gefallen lassen müßte, 3 Tage und 3 Nächte bei ihnen zu bleiben, und daß es ihm nachgelassen sein solle, sich selbst die Arbeit zu wählen, die er bei ihnen während der Zeit verrichten wolle. Der Schuhmacher aber, der so wenig zu dem Einen als zu dem Andern Lust bezeigte, konnte sich zu keiner bestimmten Arbeit entschließen, es ward ihm daher von jenen beiden Herren auferlegt, während seines Aufenthalts auf dem Berge Steine zu karren. So beschwerlich ihm nun auch dieses Geschäft sein mochte, so wagte er aus Furcht einer möglichen gefährlichen Ahndung es doch nicht, sich dessen zu weigern. Endlich am Abend des dritten Tages entließen ihn jene beiden Herren seiner Arbeit wieder, gaben ihm nach seinem Wunsche eine Laterne und erlaubten ihm, nun nach Hause zu gehen. Doch der Schuhmacher, der wo möglich gern einen Ersatz für die dreitägige Versäumniß in seiner Arbeit gehabt hätte, war hiermit nun noch nicht zufrieden, sondern er wagte es sogar, sich einen Lohn für die ganze 3 Tage lang treulich geleistete Arbeit auszubitten. Auf vieles Zureden und Bitten empfing er endlich nicht mehr und nicht weniger als einen Silberdreier, und zwar mit der Bedeutung, daß er dadurch, ob es gleich nur ein Geldstück von sehr geringem Werthe sei, dennoch sehr glücklich sein werde, indem, so lange er dieses besitzen würde, es ihm nie an Gelde mangeln werde. Hiermit zufrieden, verwahrte der Schuhmacher diesen Dreier sorgfältig, beurlaubte sich dann von den beiden Herren, und trat seinen Weg nach Hause an. Spät erst in der Nacht kam er heim, und fand die Thüre seines Hauses schon verriegelt und verschlossen; er klopfte daher mit aller Macht und rufte und schrie, damit seine Frau ihn hören und sobald als möglich einlassen möge. Endlich aus dem Schlafe erweckt, erschien diese, prallte aber mit einem lauten Schrei des Entsetzens zurück, als sie in dem [242] Ankommenden ihren Mann erkannte, den sie schon längst für todt gehalten hatte. Denn anstatt daß er blos 3 Tage abwesend gewesen zu sein glaubte, war er nicht weniger als ein ganzes Jahr entfernt gewesen, und in seiner Heimath hatte man sich überredet, er müsse verunglückt sein, da er von dem damaligen Weissenberger Markte nicht zurückgekehrt war. Da er seinen Gedanken nach gar nicht lange abwesend geblieben, so war er mit der alten Ordnung der Dinge bald wieder vertraut, nur mit dem Unterschiede, daß er nun, seitdem der heilbringende Dreier vom Stromberge in seinem Beutel wohnte, und er diesen niemals leer werden ließ, sich selbst nicht mehr in jene Ordnung wieder hineinfügen wollte, und anstatt wie sonst fleißig zu arbeiten, jetzt nur dem Müßiggange und der Trunksucht sich ergab, weil er augenscheinlich bemerkte, daß er jenes nun nicht mehr nöthig habe, dieses ihm aber vergnügtere Tage gewähre. Doch dies, wozu ihn jener heilbringende Dreier verleitete, nämlich der Trunk, war im Gegentheil auch wieder die Ursache, daß er sich eines solchen unersetzlichen Schatzes verlustig machte. Denn als er einst in einem starken Rausche seinen vollen Beutel hervorsuchte und seine Zeche bezahlen wollte, aber aus Unachtsamkeit jenen heilbringenden Dreier ausgab, ward er dadurch, da er sich nun einmal an ein unmäßiges Leben gewöhnt hatte, zum Bettler.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Zweiter Band. 839. Das verfallene Schloß auf dem Stromberge bei Weissenberg. 8. [Zu gewissen Zeiten war aber auf diesem wunderreichen Berge ein]. 8. [Zu gewissen Zeiten war aber auf diesem wunderreichen Berge ein]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-3895-D