280. Der Mönch und die Nonne.

(Aus Mosch, die Heilquellen Schlesiens u.d. Grafschaft Glatz. Breslau und Leipzig 1821 S. 358.)


Im böhmischen Städtchen Hohenelbe lebte einst ein reicher Mann, welcher eine schöne Tochter besaß, die weit und breit unter dem Namen der schönen Antonie bekannt war. Schon bei ihrer Geburt hatten die bigotten Eltern sie dem Himmel geweihet, und jetzt, nachdem das Mädchen ihr siebzehntes Jahr erreicht, ward ihr angekündigt, daß sie in wenigen Tagen nach dem bestimmten Kloster abgehen solle.

Der Schmerz der armen Antonie über diese Nachricht war grenzenlos. Schon seit ihrem fünfzehnten Jahre wohnte die Liebe in ihrem Herzen, und Florentin, der Sohn ihres Nachbars und der Gespiele ihrer Jugend, war auch jetzt der Geliebte ihres Herzens geworden. Beide liebten sich mit allem Feuer und aller Schwärmerei der ersten Liebe und oft sagte eins dem andern: »Ich könnte nicht ohne Dich leben.«

Die Liebenden wendeten Alles an, den Entschluß der Eltern zu ändern, doch vergebens; diese beharrten bei ihrem Vorsatz und strebten Tag und Nacht nach der Einwilligung der Tochter. Als sie nun sahen, daß alle Bitten und Ermahnungen umsonst waren, wandten sie sich an Florentin selbst und beschworen ihn unter Bitten und Thränen bei Antoniens Seligkeit letztere zur Erfüllung des elterlichen Gelübdes zu bewegen.

Er versprachs; aber er konnte es nicht. Für ihn gab es keinen Ausweg mehr. Händeringend stürzte er aus dem Hause, und weinte seinen Jammer aus in der Einsamkeit seines Schlafgemachs. Um Mitternacht ward sein Schmerz stiller. Er setzte sich hin, schrieb nur wenige Zeilen an seine Eltern, und dann ein Lebewohl an seine ewig geliebte Antonie. Dann ergriff er seinen Stab, schlich still zum Hause hinaus, nahm leise wehklagend vom Schauplatz seiner Jugend und seiner Liebe Abschied, und wanderte nach dem nächsten Kloster, um dort Mönch zu werden. In wenigen Tagen trug er die Kutte.

[331] Im väterlichen Hause ward der verzweifelte Schritt Florentins mit dem Morgen ruchbar. Antonie sank, nachdem sie sein Lebewohl gelesen, leblos auf ihr Lager, und als sie sich wieder ermannte, ergriff sie bebend der Mutter Hand und sprach mit Wehmuth: »Führt auch mich in mein Kloster!«

Am folgenden Morgen rollte der Wagen hinab nach dem Kloster. Ruhig ergab sich das Mädchen in sein Schicksal. Die sanfte Dulderin erwarb sich bald Aller Herzen; denn ein Herz voll unglücklicher Liebe ist alles Guten und Edlen, alles Großen und Schweren fähig.

Bereits mehrere Monate lebte Antonie schon in ihrer Zelle, als sie einst einen ganz sonderbaren Traum hatte. Die Gebenedeite selbst erschien ihr in einem Strahlenkranze und mit verklärtem Gesicht; an ihrer Hand hielt sie Florentin, in der Kleidung seines Ordens. Indem sie ihm Antonien zuführte, verwandelte sich seine priesterliche Kleidung in ein weltliches Gewand, und auch Antonie sah, wie ihre Klostertracht mit einer weltlichen Kleidung vertauscht ward. Mit holdseliger Miene legte hierauf die Gottesmutter die Hände Beider in einander, segnete sie und verschwand.

Antonien hatte der Traum wundersam bewegt; träumend saß sie in ihrer Zelle und träumend ging sie ins Chor. Noch an demselben Morgen, und gerade zu ihrem Geburtstage, langte aus der elterlichen Heimath ein Bote an, der die Glückwünsche der Ihrigen, und als Geschenk einen Kuchen brachte. Sie zerschnitt denselben, auch ihre Freundinnen davon genießen zu lassen, und fand zu ihrer Verwunderung in seinem Innern ein Blatt von Florentins Hand. Freudig entfaltete sie es; aber wie ein Donnerschlag wirkte sein Inhalt auf das ohnehin so sehr bewegte Mädchen; denn Florentin hatte denselben Traum gehabt, wie sie, und hielt ihn für einen Wink des Himmels, der sich ihrer erbarmen wolle. Dieser Traum, fügte er hinzu, habe in ihm den Entschluß bewirkt, aus den Klostermauern zu entfliehen, und er beschwöre sie bei ihrer Liebe ein Gleiches zu thun.

Das bestürzte Mädchen konnte sich schwer entschließen; aber endlich sagte sie zu, und bestimmte Tag und Ort wo sie sich treffen wollten. Alles ging glücklich von statten, und die Liebenden, die sich so lange entbehrt, sanken noch an demselben Tage sich in die Arme. Im Mönchsgewande zogen sie dem Riesengebirge zu, denn sie gedachten sich nach Schlesien zu wenden.

Aber je weiter sie stiegen, desto übler gings ihnen. Lebensmittel hatten sie nicht, und Wind und Regen stürmten immer heftiger, je weiter sie dem Riesenkamme sich näherten. Bald trugen die wunden Füße das jammernde Mädchen nicht mehr, und der stärkere Florentin lud sie freudig auf seine Schultern. Aber endlich konnte auch er nicht mehr. Seufzend suchten Beide im dichten Knieholz nur eine Stelle wo sie vor Sturm, Regen und Kälte geschützt wären, indem sie nur in dem Traume von der Gebenedeiten einen Trost für ihre Leiden fanden.

So ruhten sie auf dem Moose, und verbrachten einen Theil der Nacht in Gebet und Umarmung, bis sie dem Schlafe in die Arme sanken. Aber, hilf Himmel! Wie erstaunten sie als sie erwachten; sie lagen auf einem weichen Lager, über ihnen wölbte sich eine freundliche Hütte, und um sie her lagen alle Gerätschaften und Werkzeuge, wie sie der Hausstand fordert.

[332] Während sie nun verwundert das Alles beschauten, da trat ein ehrwürdiger Greis herzu, ergriff ihre Hände, und führte sie hinaus ins Freie. »Seht«, sprach er mit feierlichem Ernst, »Euer Eigenthum«, und zeigte ihnen eine üppige Wiese mit stattlichen Kühen und muntern Ziegen, ein umzäuntes, freundliches Gärtchen, und einen klaren Quell in der Nähe des Hauses. »Genießt Euer Gut in Liebe und Tugend, die immer ihren Lohn finden!« Und mit diesen Worten wandte er sich und stieg langsam den Berg herab.

Im höchsten Entzücken über das ihnen bereitete Glück fielen die Liebenden auf die Kniee und dankten inbrünstig dem, der dessen Urheber war. Von dieser Zeit an lebten Beide in einer ungetrübten Glückseligkeit, fern von dem Geräusche der Welt, und nur bisweilen besucht vom Alten vom Berge, der einst ihr Wohlthäter gewesen.

Als nun ihr Alter zunahm, wünschten Beide nichts sehnlicher, als zusammen zu sterben. Einst saßen sie vor der Thür ihrer Hütte, schauten hinab auf das blaue Land von Schlesien, und gedachten ihres jugendlichen Lebens. Da zog plötzlich ein Gewitter heran, und ein Blitz tödtete Beide neben einander. Aber über ihren Leichnamen wölbten sich nun zwei große Felsenmassen, und sind bis auf den heutigen Tag auf dem Riesengebirge zu sehen unter dem Namen »des Mönchs und der Nonne«.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Zweiter Band. Schlesien und die Niederlausitz. 280. Der Mönch und die Nonne. 280. Der Mönch und die Nonne. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-3719-B