814) Der Bäcker zu Dortmund. 1

Vor vielen, vielen Jahren hat zu Dortmund ein reicher Bäcker gelebt, der hat zwar keinen Gottesdienst versäumt und ist in der Kirche immer der [766] Andächtigste gewesen, allein dabei blieb sein Herz doch hart wie Stein und so hat er denn durch Wucher und Kornaufkaufen einen großen Mammon zusammengebracht, den er in vielen großen Geldsäcken in seinem Keller verborgen hatte. Armen hat er aber nie etwas gegeben als höchstens ein Stückchen halbverschimmeltes Brod und seine einzige Schwester, die Wittwe eines armen, aber braven Leinewebers hat er sammt ihren Kindern hungern und darben lassen und mit groben Worten, als sie ihn nach dem Tode ihres Mannes um eine Unterstützung bat, von seiner Thüre weggewiesen. Da ist einmal eine schlimme Pest und nach ihr eine große Theuerung in ganz Westphalen entstanden, so daß die Armen das Korn nicht mehr bezahlen konnten und das ganze Land voll Bettelleute war. Bei dem Bäcker aber war keine Noth, er buck sein Brod immer kleiner und ließ es sich immer theurer bezahlen und seine Scheuern und Böden waren voll Getreide bis zum Hahnebalken hinauf, aber er schlug es darum doch nicht los, sondern er hoffte, daß bis zum Winter die Kornpreise um das Doppelte steigen wür den.

Da lag er einst um die Mittagszeit auf seinem Bette, um von der Morgenarbeit etwas auszuruhen, als langsam an die Thüre geklopft ward. Er rief herein und siehe, vor ihm in Lumpen gehüllt stand ein elendes mageres Weib und bat um eine Gabe. Es war seine Schwester, die er aber nicht erkannte, so hatte sie sich in den letzten zehn Jahren verändert. Da er nun glaubte, es sei ein gewöhnliches Bettelweib, so hetzte er in Wuth über diese Störung seiner Mittagsruhe seinen großen Hund auf sie, der unter dem Bette lag. Das Weib aber rief ihn nun mit flehender Stimme bei seinem Taufnamen und bat ihn, er möge sie, die an der Pest alle ihre Kinder verloren habe, doch nicht von sich stoßen, sondern ihr eine Ruhestätte in seinem Hause gönnen und sie vor dem Hungertode schützen. Da erwiderte der böse Bruder mürrisch: »Gut denn, ein Plätzchen in meinem Hause sollst Du haben, ich weiß aber nicht, ob es nach Deinem Geschmacke sein wird, und Nahrung sollst Du auch haben!« Damit führte er sie auf den Hof und wies auf eine große leerstehende Hundehütte, zog ein Stück Weizenbrod aus der Tasche und reichte es ihr. Die arme Verhungerte griff gierig darnach und biß hinein, aber das Brod war so hart, daß die Zähne seines großen Hundes dazu gehörten, um es zu zermalmen. Nach wenigen Augenblicken sah sie sich genöthigt, es wegzuwerfen, sie stürzte vor Schwäche zu Boden, aber ihr harter Bruder ließ sie unbekümmert liegen und wahrscheinlich wäre sie auf dem Flecke gestorben, hätte sich nicht eine alte Magd ihrer angenommen und hätte sie durch Einflößen einiger Tropfen kräftigen Bieres wieder zu sich gebracht. Diese steckte ihr auch einige Bissen genießbaren Brodes zu und so gewann die arme Frau wieder so viel Kräfte, um nach ihrer Hütte zurückschleichen zu können. Hier sank sie auf ihr elendes Strohlager und betete inbrünstig zu Gott, er möge sie doch von ihren Leiden erlösen. Und Gott erhörte sie, denn sie schloß ihre Augen, um nie wieder aufzuwachen.

Am andern Tage ist aber in der Stadt Dortmund ein gefährlicher Aufruhr ausgebrochen, der vor Allen die Reichen und Begüterten in der Stadt bedrohte. Das Volk litt allzu große Noth und begann deshalb die Häuser derer zu stürmen und zu plündern, die noch immer im Ueberflusse schwelgten. Auch auf des reichen Bäckers Haus stürmte der Pöbel los, man drohte es [767] zu plündern und ihn selbst todtzuschlagen. Der Bäcker hatte bei dem ersten Aufruhrgeschrei sogleich Thüren und Fenster verrammelt, er selbst aber flüchtete sich in den festen Keller seines Hauses, wo seine Schätze lagen und der ihm einige Sicherheit gewähren konnte, da er nicht gleich zu finden war. Einen Sack voll kleiner Brode und einen großen Krug voll Wassers nahm er in aller Eile mit sich, so hoffte er, könne er mehrere Tage harren, bis die Ruhe wieder hergestellt sei, ohne Mangel zu leiden. Kaum hatte er aber die eiserne, mit schweren Riegeln versehene Thüre hinter sich geschlossen, so hörte er, wie das Volk die Thüre seines Hauses sprengte, hineinströmte, sich darin zerstreute und Alles zusammenschlug. Er hatte sich auf seine Geldsäcke gesetzt und wartete so von Stunde zu Stunde, bis es wieder ruhig werden wollte. Die Angst ließ ihn den Hunger vergessen, als aber der Morgen anbrach, da verlangte die Natur ihr Recht, er ward hungrig, griff in den Sack, worin die Brode waren, zog eins heraus und wollte hineinbeißen. Aber wehe! es war durch ein Wunder zu Stein geworden und große Blutstropfen hingen wie Schweißperlen daran. Schaudernd warf er es von sich und ergriff ein zweites Brod, allein auch dieses war verwandelt wie das erste. Er versuchte es mit einem dritten und vierten, immer dasselbe, sie waren alle zu Stein geworden. Da ließ er den Sack fallen und nahm den Wasserkrug zur Hand, er wollte wenigstens seinen Durst löschen. Entsetzlich! das Wasser war zu Blut geworden. Da fielen ihm alle seine Sünden ein, die er sein Lebtage gegen andere Menschen begangen, er fiel auf die Kniee und betete und versprach, er wolle bereuen und für die kommenden Tage ein besserer Mensch werden, ein Wohlthäter und Vater der Armen sein. Als er aber nach beendigtem Gebete wieder in den Sack griff und abermals dieselben schrecklichen Wunderzeichen fand, da ergriff ihn schwere Verzweiflung, er wollte seinem Leben selbst ein Ende machen und seinen Kopf an den harten Steinwänden des Kellers zerschmettern, allein auch diese Wohlthat ward ihm nicht zu Theil. Nach dem ersten Versuche stürzte er betäubt zu Boden. Viele Stunden lag er so, endlich erwachte er wieder, da begannen abermals Hunger und Durst ihn aufs Grimmigste zu plagen, aber den Keller wagte er nicht zu verlassen, denn im Hause vernahm er das Geschrei des wüthenden Pöbels, welcher sein Leben wollte. Inmitten seiner Geldsäcke gab er am Abend des andern Tages elendiglich seinen Geist unter großen Qualen auf und als nach einigen Tagen die Ruhe wieder hergestellt war und ihm seine alte Magd diese gute Nachricht bringen und ihn aus seinem Versteck im Keller herausholen wollte, aber natürlich keine Antwort erhielt, da ließ man die Kellerthüre mit Gewalt aufbrechen und fand den Geizhals mit entstellten Zügen auf seinen Geldsäcken liegen, das Brod aber hart wie Stein und voll Blutstropfen und den Wasserkrug mit Blut gefüllt. Sein Reichthum aber fiel, da er keine Erben hatte, an die Stadtkasse.

Fußnoten

1 S. Krüger, Westphäl. Volkssagen. H.I. Siegen 1845 in 12. S. 83 etc.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Erster Band. Westphalen. 814. Der Bäcker zu Dortmund. 814. Der Bäcker zu Dortmund. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-3649-7