Der Geburtstag
oder
Die Partikularisten

[381]

Im weißen Pferd

Erstes Kapitel

Im weißen Pferd

Wer Bildung und Moral besitzt,
Der wird bemerken, daß anitzt
Fast nirgends mehr zu finden sei
Die sogenannte Lieb und Treu. –
Man sieht zuerst mit Angstgefühlen
Herunterfallen von den Stühlen
Die angestammten Landesväter –
Sodann, als kühler Hochverräter,
Zieht man die Tabaksdos hervor,
Blickt sanft und seelenvoll empor,
Streckt sich auf weichem Kanapee,
Schlürft mit Behagen den Kaffee –
Und ist man so aufs neu erfrischt,
Dann denkt man: »Na, die hat's erwischt!«
So denkt der böse Mensch. – Jedoch
Es gibt auch gute Menschen noch. –
Zu Milbenau im weißen Pferd
Bei Mutter Köhm, die jeder ehrt,
Da sitzen, eng vereint und bieder,
Auch diesen Sonntagabend wieder
Nach altem Brauch im Freundschaftskreise
Die Männer und die Mümmelgreise. –
»Et blivt nich so! Et blivt nich so!!«
So murmelt jeder hoffnungsfroh. –

[382]
»Et schall nich bliben ans et is!
Et schall weer weeren anse süß!!«
»Un dat seg eck! Un dat seg eck!«
So spricht entschieden Schneider Böck. –


[383]
Hierauf spricht lächelnd Krischan Stinkel
Und zwinkert mit dem Augenwinkel:
»Eck segge man, vor min Pläsier,
Gottlof! Wat is de Botter dür!!«

Dagegen ruft der lange Korte
Mit Zorneseifer diese Worte:
»Kreuzhimmeldausenddonnerwär,
Uns' olle König mot weer her!!«
[384]
Jetzt sieht sich Bürgermeister Mumm
Bedenklich nach der Seite um.
»Pißt!!« – ruft er – »Ruhig, liebe Leut!
Seid untertan der Obrigkeit!!«

»Ja, aber man bis insoweit!
Seggt unse olle Herr Pastor.«
»Dat hat he seggt!!!« – so tönt's im Chor. –

[385]
Hierauf, so wird es etwas stille,
Und grad kommt Herr Aptheker Pille.
»Ihr Leute, daß ich's bloß man sage!
Denn morgen ist der Tag der Tage,
Da er geboren, der – – ihr wißt! – –«
»Ja ja, so is't! Ja ja, so is't!!«

»Nun ist Euch allen wohlbekannt
Der Busenfreund, den ich erfand,
Der segensreiche Labetrank,
Der, sei man munter oder krank,
Erwärmend dringt bei hoch und nieder
Durch Kopf, Herz, Magen und die Glieder – –
[386]
Wie wär es, hochverehrte Freunde,
Wenn man im Namen der Gemeinde
Ein Dutzend Flaschen oder so – –«
»Ja ja, man to! Ja ja, man to!!«
So tönt es laut im treuen Kreise
Der Männer und der Mümmelgreise.
Und jeder ruft: »He, Mutter Köhmen!
Up düt will wi noch Einen nöhmen!!«

Gesagt, getan. – Für Mutter Köhm
Ist dies natürlich angenehm.
[387]

Nächtliche Politik

Zweites Kapitel

Nächtliche Politik


In seinem Bett um Mitternacht,
Voll Sorgen, die er sich gemacht,
Liegt hier des Dorfes Bürgermeister.
Die aufgestörten Lebensgeister
Befassen sich beim Kerzenlichte
Noch immer mit der Weltgeschichte,
Wie sie getreu vermeldet hat
Das angestammte Wochenblatt;

[388]
Daß nämlich, wie die Sachen liegen,
Die Preußen nächstens Schläge kriegen. –

Nur einer macht ihm stilles Graun –
Der Bismarck, dem ist nicht zu traun!
So liegt er da und ballt die Rechte
Und täte gerne, was er möchte;
Bis ihn in Schlummer wiegt um eins
Der Genius des Brannteweins. –

[389]
Na, na! Das gibt noch ein Malör! –
Die Zippelkappe neigt sich sehr. –

Es kommen in Berührung fast
Die Flamme und der Mützenquast. –

[390]
Schon brennt der Zippel wie ein Licht.
Die Obrigkeit bemerkt es nicht. –

Bald aber dringt die Glut und Hitze
Zum schlummernden Gedankensitze. –

[391]
Potzsapperment! Hier heißt es schnelle!
Die Kopfbedeckung leuchtet helle.

Kreuzdunnerschlag! Ich dacht es ja!
's ist wieder mal kein Wasser da!!

[392]
In Ängsten findet manches statt,
Was sonst nicht stattgefunden hat.

Da liegt die Mütze sehr versehrt.
Das Haar ist meistens weggezehrt. –

[393]
Doch kann ein Sacktuch auch zu Zeiten
In kühler Nacht das Haupt bekleiden;
Nur hat sodann die Zippelmütze
Vier Spitzen statt der einen Spitze.

Der Busenfreund

Drittes Kapitel

Der Busenfreund

Es war ein schönes Morgenrot.
Die Hähne krähn, es dampft der Schlot.
Schon hörte man, wie Müseling,
Der Kuhhirt, an zu tuten fing.
Und jeder holet aus dem Stalle
Bei lustigem Trompetenschalle
Die krummgehörnten Buttertiere,
Daß Müseling sie weiterführe.

[394]
Wer auch schon munter, das ist Pille.
Er bürstet seine Sonntagshülle
Und rüstet sich beizeiten schon
Zu seiner hohen Staatsmission. –

Allhier im Korbe, eng vereint,
Sind zwanzig Flaschen Busenfreund.

[395]
Und hier der Nachbar Fritze Jost
Befördert sie zur nächsten Post.
»Nur ja recht sachte und gemach!«
Ruft Pille – »Gleich, gleich komm ich nach!« –

Schon hinter Meiers alter Planke
Kommt Fritze Josten ein Gedanke.

[396]
Verlockend ist der äußre Schein.

Der Weise dringet tiefer ein.

[397]
Hier trägt er neugestärkt und heiter
Die süße Bürde emsig weiter.

Doch allbereits an Müllers Hecke
Verweilt er zu demselben Zwecke.

Bald treibt ein süßes Hochgefühl
Ihn weiter fort zu seinem Ziel.

[398]
Nur an der ernsten Kirchhofsmauer
Nimmt er es noch einmal genauer.

Zum Schlusse sieht er sich genötigt,
Hinwegzuschaffen, was erledigt. –

Nun aber zeigt er sich alsbald
Als eine schwankende Gestalt,

[399]
Die an der Mauer festbegründet
Bis jetzt noch eine Stütze findet.

Indessen bald so fehlt die Stütze. –
Der Busenfreund rinnt in die Pfütze. –

[400]
Mit viel Geschrei in einer Reih
Kommt eine Gänseschar herbei.

Als nun die Schnabbelei begann,

[401]
Schaut eine Gans die andre an.

Sie tauchen froh nach kurzer Zeit
Sich tiefer in die Süßigkeit,

Derweil die Frösche schnell und grün
Aus tiefem Grund ans Ufer fliehn. –

[402]
Grad kommen, denn es ist halb neune,
Der Schweinehirt und seine Schweine.

Nun wird es lustig allerseits.
Die Gänse wackeln schon bereits.

[403]
Dem Hirt sein Bock fängt an zu springen,
Die Schweine wälzen sich und singen.

Viel Kurzweil treibt man anderweitig

[404]
Sowohl allein wie gegenseitig.

Jetzt eilt die Bauernschaft herbei
Und wundert sich, was dieses sei.

[405]
Bald ist auch Pille reisefertig
Bei diesem Schauspiel gegenwärtig.

Zuerst erfaßt zu aller Schreck
Der Ziegenbock den Schneider Böck.

[406]
Auf seinem zackigen Gehörne
Trägt er denselben in die Ferne.

Der Bürgermeister, ängstlich blau,
Bewegt sich fort auf Kanters Sau.

[407]
Jetzt kommen, Pille in der Mitten,
Zwei alte Weiber angeritten.

Herr Pille aber wird zuletzt
Vor einer Stalltür abgesetzt.

[408]
Hierbei verlieret seinen Glanz
Der schöne Sonntagsschwalbenschwanz. –

Als man hierauf verwundersam
In einem Kreis zusammenkam,
Da hieß es: »Kommt na Mutter Köhmen,
Up düt da will wi Einen nöhmen!!«

[409]
Gesagt, getan! – Für Mutter Köhm
Ist dies natürlich angenehm.

Die Eier

Viertes Kapitel

Die Eier

Das weiß ein jeder, wer's auch sei,
Gesund und stärkend ist das Ei. –
Nicht nur in allerlei Gebäck,
Wo es bescheiden im Versteck;
Nicht nur in Soßen ist's beliebt,
Weil es denselben Rundung gibt –
Nicht eben dieserhalben nur –
Nein, auch in leiblicher Statur,
Gerechtermaßen abgesotten,
Zu Pellkartoffeln, Butterbrotten,
[410]
Erregt dasselbe fast bei allen
Ein ungeteiltes Wohlgefallen;
Und jeder rückt den Stuhl herbei
Und spricht: »Ich bitte um ein Ei!« –
Daß dieses wahr, das fühlte klar
Sogar die treue Bauernschar. –
Der Plan mit Pillens Busenfreund,
So wohlbedacht, so gut gemeint –
Man kann wohl sagen – ist mißraten,
Doch Treue sinnt auf neue Taten. –
Denn daß zu diesem hohen Tage
Etwas geschieht, ist keine Frage. –
Der sanfte Johann Hinrich Dreier
Der sprach: »Wo dünket jük de Eier?«
»Kein besser Ding vor diesen Zweck!«
Rief Schneider Böck. – »Und dat seg eck!!«
»Ick ok!« – schreit Korte – »Dunnerslag!
Keen Minsche, de nich Eier mag!«
Und alle riefen laut und froh:
»Ja ja, man to! Ja ja, man to!«

Bald ist im Dorfe weit und breit
Mann, Weib und Kind in Tätigkeit,
Um zu den obgedachten Zwecken
In Scheunen, Ställen und Verstecken,
In unwirtsamen dunklen Ecken
Des Huhnes Eier zu entdecken. –
[411]
Die Hühner machen groß Geschrei;
Denn auch das Huhn verehrt das Ei,
Was es im stillen treu gelegt
Und gerne weiter hegt und pflegt,
Bis nach den vorgeschriebnen Wochen
Ein Pieperich hervorgekrochen. –
Jedoch nicht jedes ist so gut. –
Es gibt auch welche, die die Brut
Treulos verlassen – und so eins
Ist leider Krischan Stinkel seins. –

»Du wutt nich sitten, Lork?« denkt Stinkel
Und zwinkert mit dem Augenwinkel –
»Na, denn lop hen! Na, denn man to!
Ok recht! Ick weit wol, wat ick do!!«

[412]
Nachdem er so in seiner Mütze
Die Eier, daß er sie benütze,
Mit etwas Häckerling vermengt,
Behutsam leise eingezwängt,
Trägt er dieselben zu dem Orte,
Wo dieses Mal der lange Korte,
Der ehedem und hierzuvor
Gestanden bei dem Gardekorps,
Die Gaben gern entgegennimmt. –
Ja, dieser Korte ist bestimmt,
Als Ehrengreis und Biedermann,
Der so etwas am besten kann,
Begleitet von zwei Ehrendamen,
Natürlich in Gemeinde Namen,
Das Festgeschenk noch diesen Morgen
An hoher Stelle zu besorgen. –

Hier steht die Kutsche vom Pastor
Und Kortens Ochse steht davor.
Daneben stehet Kortens Sohn. –
Zwei Stunden ist's zur Bahnstation.

[413]
Mit Vorsicht wird zuerst placiert
Der Eierkorb, wie sich's gebührt.

Sogleich nach diesem, wie sich's schickt,

[414]
Die Ehrenjungfern, reich geschmückt.

Mit Ruh und Würde und zuletzt
Hat Korte sich hineingesetzt.

[415]
»Nu, Kunrad, jüh! Wi wünschet Glücke!!« –
– Nicht weit davon ist eine Brücke. –

Es rutscht das Rad. – Herrje! Schrumbum! –
Da fällt die alte Kutsche um. –

[416]
Bestürzt ist jedes Angesicht.
Wie's drinnen ist, das weiß man nicht.

Nun hebt nach oben, ohne Worte,
Sich Korte aus der Kutschenpforte.

[417]
Nun kommt ein Ehrenjungfernbild,
In Eigelb merklich eingehüllt.

O weh! Es fehlt noch immer eine! –
Gottlob! Hier sieht man ihre Beine! –

[418]
Die Jungfern und der Ehrengreis
Sind alle drei ganz gelb und weiß.

Man ist bemüht, sie abzuwischen. –
»Puh!« – hieß es – »Hier sind fule twischen!!«

Hier schlich beiseite Krischan Stinkel
Und zwinkert mit dem Augenwinkel
Und spricht zu seiner Frau Christine:
»De fulen, Stine, dat sind mine!!« –

[419]
Als man darauf verwundersam
In einem Kreis zusammenkam,
Da hieß es: »Kommt na Mutter Köhmen!
Up düt, da möt wi Einen nöhmen!!«

Gesagt, getan. – Für Mutter Köhm
Ist dies natürlich angenehm. –
[420]

Die Butterhenne

Fünftes Kapitel

Die Butterhenne

Das wäre also auch mißraten.
Doch ist's noch Zeit zu neuen Taten. –

Hierauf bezüglich, mit Gefühl,
Sprach Herr Adjunktus Klingebühl:
»Geliebte! So wie ich erachte,
Indem ich diesen Fall betrachte,
[421]
Bedenke, prüfe, überlege
Und mit Bedachtsamkeit erwäge –
So ist gewiß für treue Liebe
Und sonsten eingepflanzte Triebe
Das schönste Beispiel, so ich kenne,
Das Mutterhuhn, genannt die Henne. –
Ich weiß nicht, ob Ihr dieses wißt – –«
»Ja ja« – rief jeder – »ja, so is't!!«
»– – – – Nun wohl!
So lasse man, als ein Symbol,
Durch unsern Bäcker und Konditer –
Ich meine hier Herrn Knickebieter –
Aus Butter und dergleichen Sachen
Ein Ebenbild der Henne machen.« –
»Ja ja« – rief jeder laut und froh –
»Ja ja! man to! Ja ja! man to!!«

Bald ist im Dorfe weit und breit
Manch treues Weib in Tätigkeit,
Die Butter durch ein rastlos Wälzen
Und Kneten innig zu verschmelzen.
Und alle diese schöne Butter
Legt freudig Tochter oder Mutter

[422]
Als eine tiefempfundne Spende
In Knickebieters Künstlerhände.

Mit Freuden tut er sie begucken
Und denkt: »Das ist ein schöner Hucken!«


[423]
Sogleich, nachdem er sich geschneuzt,
Wird er zum Schaffen angereizt.

»Sieh, sieh! Da ist ja eine bei,
Die innen voll Kartoffelbrei.
Oh!« – sprach er – »Oh, du alter Schlinkel!
Die ist gewiß von Krischan Stinkel!!«

[424]
Zuerst mit großem Vorbedacht
Wird Kopf und Leib und Schwanz gemacht.

Die Augen macht man mit dem Daumen
Vermittelst zwo gedörrter Pflaumen.

[425]
Als Schnabel wird die rote Rüben
Zweckmäßig in den Kopf getrieben.

Nun wirft man mit geheimer Wonne
Den Überrest in seine Tonne.

[426]
Nicht übel! Nur erscheint mir bloß
Das ganze Bildnis etwas groß.
Noch mal gemacht! – Und zwei Rosinen
Die können auch als Augen dienen.
Und, da das Ganze ein Symbol,
So kann's nicht schaden, wenn es hohl.

Und wieder mit geheimer Wonne
Wirft er, was übrig, in die Tonne.

[427]
Er steht und sieht sein Werk von ferne
Und spricht: »Na, so hab ich dich gerne!«

Er schafft die Tonne fort verstohlen.
Man kommt, die Glucke abzuholen.

[428]
»Willkommen! Eure Meinung, bitt ich!«
»Gott ja! Man bloß 'n beten lüttich!«

Der Wagen steht und wartet schon. –
Der Bürgermeister in Person
Wird dieses Mal und zwar allein
Der Fest- und Ehrenbote sein.

[429]
Bei jedem ist die Freude groß,
Denn gleich geht die Geschichte los.
Und jeder ruft: »Wi wünschet Glücke!« –

Den Gaul umschwirrt die Stachelmücke.

[430]
»Oha!« – schrie alles voller Not –
»Herrgott! He sit de Klucken dot!«

Er sitzt am Boden sehr erschreckt.
Das Festgeschenk ist fast verdeckt.

[431]
Du liebe Zeit! Welch ein Malör!
Man kennt das schöne Bild nicht mehr.
[432]

Finale

Sechstes Kapitel

Finale

Die Zeit ist um, der Tag vergeht.
Für dieses Jahr ist es zu spät.
Und stumm und in sich selbst gekehrt
Begibt man sich ins weiße Pferd. –

»Ja ja! De Botter de is dür!«
Sprach Krischan Stinkel, als man hier. –
»Nu is't to late!« – meinte Böck –
»Ich schäme mir vor diesen Zweck!«
»Dat hat Aptheker Pille schuld!«
Schrie Korte voller Ungeduld.
»Da muß ich bitten! Liebster, Bester!«
»Ne – Korte!!« – »ne! – de Burgemester!!!«

[433]
So schrie man laut und fürchterlich.
Der Tisch fällt um. Man prügelt sich. –

[434]
Als man hierauf verwundersam
In einem Kreis zusammenkam,
Da hieß es: »Heda! Mutter Köhmen!
Up düt da will wi Einen nöhmen!!«

Gesagt, getan. –

[435]
Für Mutter Köhm
War alles dieses angenehm.

[436]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Busch, Wilhelm. Bildergeschichten. Der Geburtstag oder Die Partikularisten. Der Geburtstag oder Die Partikularisten. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-2502-3