870. An Nanda Keßler

870. An Nanda Keßler


Wiedensahl 30. Mai 92.


Liebe Nanda!

Wir Landleut wißen meist wenig von Geburtstagen. Ihr Stadtleut seid gebildeter. So weißt du denn jedenfalls auch genau, wann unsere allverehrte und von Dir so sehr geliebte Freundin, die Frau K., Wiesenau 15, ihr vermuthlich im Juni stattfindendes Wiegenfest feiert, und bitte ich dich daher, ihr an diesem schönen Tage das beifolgende Gedicht nebst Umschlag zu überreichen als einen kleinen heiteren Beweis meines freundlichen Gedenkens.

Zugleich bedank ich mich für Brief, Photographie und gemüthliche Gartenscene.

Den Lurchfang hätt ich noch ausführlicher beschrieben gewünscht. Daß dieser Hugo sich der Liebhaberei für harmlose Kriechthiere gewidmet, ist nett und ermunternswerth. Vielleicht wird ihm Gelegenheit geboten, sich auch über ihre Lebensgewohnheiten näher zu unterrichten, so daß er sie, wie billig, auch versorgen kann, wenn's nöthig ist.

Apropo! Hat das Rothschwänzchen unter dem Vordach des Gartenhauses ungestört seine Jungen ins Leben eingeführt?

Und appropoh! Die berühmte Frau Salamanderin im Waschbecken zu Jugenheim hätt sich, meinen neusten Informationen zufolge, möglicherweise noch intereßanter machen und unter besonders gesegneten Umständen ihre Familie binnen zwei Tagen bis zu 50 neuen Mitgliedern vermehren können. Redliche Geschöpfe! die das französische System, scheint's, noch nicht bei sich eingeführt haben.

[353] Ja, und dann die erwähnte Oper! Wer kein eingefleischter »Horcher«, wer zudem ein Feind »haucherfüllter« Lokalitäten ist, dem kommen alle solche weitläufigen Theaterstücke natürlich immer zu lang vor. Trotzdem war ich in diesem mehrmals drin, (München, also gut.), ein Zeichen, daß mir's gefiel. Ich halt es sogar hoch und für dauerhaft – vom irdischen Thal aus gesehn. Auf dem zweit höchsten Berge freilich herrscht schon Lach= und Scherzfreiheit; die höchstbelobten und prätensiösesten Dinge dieser Welt erscheinen als Spielzeug der Jahre, der Jahrhunderte, wenn's gut geht, der Jahrtausende, welches doch schließlich zerbrochen und weggeworfen wird, wie ein Steckenpferd. Vom höchsten Berg aus jedoch sieht dergleichen weder scherzhaftnoch bewundernswerth aus. Das wären denn drei Aussichtspunkte. Der Onkel, in seiner menschlichen Unvollkommenheit, ist bald oben, bald unten. Daher denn die mitunterige Verschiedenheit zwischen seinen Ansichten und denen seiner angebeteten Tante, die beständig in der blumigen Ebene zu wandeln beliebt, wo sich's gar so schön »schwärmen« läßt.

Und so, mein liebes, vermuthlich demnächstiges Geburtstagskind, leb herzlich wohl! Und grüß mir die Kinder und die zwei angenehmen Tanten auf No 1 und die Onkels

von deinem alten

Onkel Wilhelm


[354] Zirrwitt!
Diddellitt!!
Die Sonne schien; kein Lüftchen weht. –
Der Dorfpoet
Ergriff seinen Stock, um
Zu spatzieren nach Loccum. –
Und wie er so geht auf der graden Chaußee
Und die Augen verdreht nach der Rehburger Höh,
Wo kürzlich drei der Musen geseßen,
Um rothen Kohlsalat zu eßen,
Den sie sonst nicht kriegten,
Fing er natürlich gleich an zu dichten. –
Es war – – es war – –
Na, sagen wir mal –
Es war einmal ein reizendes Thal,
Da saß in ihrem Blumenpalais
Eine Sommerfee,
Die göttliche Zephira,
Und spielte auf ihrer Lyra.
Sie klimpert so hübsch, sie trillert so schön,
Kann Keiner da vorübergehn;
Wer es auch ist,
Der Fußtourist,
Der Ritter zu Roß,
Er muß und muß in das Zauberschloß.
Und ist er mal dort,
Kommt er nie mehr fort,
Denn die – denn die – –
Hier kann der Poet, der Versebereiter,
Urplötzlich nicht weiter.
Die Dichtung stockt,
Der Pegasus bockt. –
»Oh, diese Nanda!«
Schrie nämlich ganz dicht bei ihm an da
Ein Klapperstorch, der selig allein
In der Wiese stand auf dem linken Bein. –
[355]
»Ei siehda! Meister Storch! Also kennt Ihr Die?«
Na, ob und wie!
Bin hübsch lang in Frankfurt gewesen, mein Lieber!
Fünfzig Jahre und drüber;
Könnt Jeden fragen, den Ihr dort trefft.
Hab ich doch gehabt mein Geschäft
Auf der Bockenheimer Gaß links oben am Schlot.
Und flott ging die Sach, potszapperlot!
Hatt' meine Ruh nie. –
Kommt da auch mal, es war so im Juni,
Eine schöne Frau
Aus der Wiesenau.
»Herr Storch – hat se gesagt – Könnten 'S mir nicht für Morgen
Wieder Etwas besorgen?«
Wie viel, Madam? Eins oder mehr?
»Nein, danke recht sehr!
Nur eins!
Aber ein Mädel, ein feins.« –
Schon recht, Madam, so prom[p]t wie's geht,
Und prima Qualität. –
Also ich fort sogleich
Zu meinem Bäbiliteich.
Hab gefischt und gefischt –
– Die Erst war Nischt, die Zweit war Nischt –
Aber beim dritten Mal da hab ich's erwischt.
Fürwahr,
Ein Prachtexemplar!
Und Augen hat's gemacht,
Und gleich hat's gelacht,
Und gestrampelt hat's,
Wie 'ne wilde Katz.
Und wie ich mich aufmach und flieg zurück –
Bei der Sachsehäuser Brück –
Hat's mich gerupft und gestumpst.
Fast wär mir's entschlupft und in den Main geplumpst.
Und wie ich vorbei komm am Rothschild seinem Haus,
Ruft die Frau Rothschild zum Fenster heraus:
»Herr von Storch, Herr von Storch!
Fliegen 'S nicht so dorch.
Laßen 'S es hier, geben 'S es mir,
Geb gleich 10000 Gulden dafür!«
Frau Baronin – hab ich gesagt – um kein Geld der Welt.
Die Sach ist bestellt! –
Und weiter flog ich, ohne lang zu warten,
Über Gontards Garten,
Und besorgte mein Päckchen. –
– Drum heißt sie jetzt Nanda und nicht Rebeckchen.
Der Poet, als der Storch so gesprochen,
Verneigte sich tief – er wär in der Mitte fast abgebrochen –
Und sprach: »Herr Commerzienrath!
Wegen dieser Eurer hochherzigen That
Kann Euch die gute Stadt Frankfurt a/Main,
Wo Juden und Christen
Sich überlisten,
Nur dankbar sein.« –
Bitte, Herr Hofpoet! – Aber jetzt muß ich Was fragen.
Wollt Ihr mir nicht gefälligst mal sagen,
Wie's weiter ging mit der Zephira
Und ihrer Lyra? –
[356]
Stehe zu Diensten! – Ganz recht – ja ja –
Ist Einer mal da –
Und ist er mal dort
Kann er nie mehr fort;
Denn die Hex, und wär er auch noch so kühn,
Behandelt, bezaubert, verwandelt ihn,
Bis er schwirrt und girrt
Und auf einmal ein richtiger Vogel wird. –
Wohl zwanzig und mehre
Hat sie bereits in ihrer Volière;
Verschiedenerlei,
Specht, Zeisig, Gimpel und Papagei,
Und sogar einen alten
Uhu mit gräßlichen Falten.
Die sitzen nun da in Federröcken
Auf Stangen und Pflöcken
Und recken sich
Und necken und pecken sich
Und warten, daß ihre
Verehrte Zephire
Herbei kommt mit Futter und Saitenspiel.
Aber es giebt nicht Viel. –
Ah!! – da tritt sie aus ihrer Kemnate
Im luftigen duftigen Morgenstaate. –
»Bonjour Messieurs!«
Bin ich nicht eine entzückende Fee?«
Sofort – denn Jeder will immer der Erste sein –
Erhebt sich ein begeistertes Piepsen und Schrein:
»Heil Dir, Zephire!
Du bist die Schönste im ganzen Reviere!
Zirrwitt, uhu!
Diddellit, uhu!«
»Bravo, ihr Herrn!
Man weiß es ja selbst, aber man hört's doch gern!
Hier, meine lieben höflichen Mätzchen,
Habt ihr Hanfkörner und Zuckerplätzchen! –
Doch du, alter Kauz, warum singst du nicht mit
So wie die Andern: Zirrwitt, diddellit?
Nur kein Huhuh mehr, das bitt ich mir aus,
Du alter Mucker und Butzeklaus!«
Dieser Kauz war früher ein Laienbruder,
Ein kreuzbravs Luder,
Den hatte sein Kloster ausgesandt
Nach Lourdes in's Frankenland,
Damit er von dort in einer Literviole
Potswundersam kräftiges Waßer hole.
Das besorgt er denn auch,
Bezahlt, was Brauch,
Verstöpselt die Flasche,
Verwahrt sie in seiner Pilgertasche
Und begiebt sich alsbald
Auf den Heimweg durch den Ardennerwald. –
Natürlich ist all sein Denken und Sinnen
Beschaulichermaßen gerichtet nach Innen;
Und weil es schon spät und dunkel wird –
– Natürlich, so geht's – Er hat sich verirrt.
Erst ist er geduldig, dann wird er verdrießlich,
Dann schimpft er tüchtig und leider schließlich
Flucht er sogar ob dieser Bedrängniß. –
Das war sein Verhängniß. –
[357]
Verlockt durch eines Lichtes Schein,
Kehrt er im Zauberschloße ein. –
Und – ach! – da sitzt sie, die himmlische Fee,
Auf dem rosigen kosigen Kanapee,
Im Abendkleide
Von goldener Seide,
Im Silberschleier und singt zur Leier. –
– Dem Klosterbruder war's nicht geheuer. –
»Hu, 'ne Hex, 'ne Hex! Geschwind furt furt!
Oh, hilf mir, du heiliges Waßer von Lurd!«
– Aber es half nicht. Versimpelt, berauscht,
Mit offnem Maul, steht er da und lauscht,
Und eh er bemerkt, worum es sich handelt,
Ist er schon verwandelt.
Die Kutte wird zum Federgewand,
Zum Flügel die Hand,
Die Nase wird knöchern,
Starr glotzen die Augen aus runden Löchern.
Der Kauz ist fertig, haha hihi!
Marsch fort, zu dem übrigen Federvieh!
So trieb es diese Zauberin,
Mit Lachen und mit leichtem Sinn,
Mit Saitenspiel und mit Gesang,
Den ganzen lieben Sommer lang.
Doch eines Morgens ward es kühl,
Das Thermometer fiel und fiel;
Und eines Abends wird es kalt. –
– O, weh, welch eine Mißgestalt?
Was ist das für 'ne alte Frau?
Sie geht am Stock, ist krumm und grau.
Sie klopft an's Thor.
»Wer ist davor?«
Mach auf, Zephirchen, laß mich ein!
Bin halt ein alt kalt Mütterlein! –
»Weg weg! Bleib fern!
Die alten Weiber hab ich nicht gern!«
Oho, ohe!
Mein Schatz, ich bin die Winterfee!! –
Sie thät sich recken,
Sie schwang den mächtigen Zauberstecken;
»Verschwinde! – rief sie – Verschwinde!
In alle Winde!
Sammt Blumen, Leier und Hofgesinde!!« –
– Das war ein Schreck.
Puh! Alles ist weck.
Sowohl Zephire,
Wie auch ihre sämmtlichen Schnabelthiere. –
– Wo ist sie nun?
Kann sie noch immer nicht ruhn? –
Sie ist der Hauch, der die Wellen kräuselt,
Der in Blättern säuselt,
Der durch die Äolsharfen geht,
Der uns neckisch den Hut vom Kopfe weht;
Aber manchmal ist sie kein bloßer Hauch,
Sondern stürmt wohl auch. –
Und ihre getreuen Vöglein schweifen
Stets um sie her in der Luft und pfeifen.
Sind Regenvögel,
Die in der Regel
[358]
Nicht sehr beliebt sind bei ländlichen Tanten,
Welche Seile spannten,
Um Wäsche zu trocknen im Sonnenschein.
»Oh!! – seufzte der Storch – und trat vom linken aufs rechte Bein –
»Wie bin ich froh!
Unsre Fernanda die ist nicht so!!« –
»Im Übrigen glaub ich, Herr Dorfpoet,
Ist's gerathen, daß Ihr Euch heimwärts dreht,
Falls Ihr nicht etwa verregnen wollt. –
– Zephire grollt! –
Schon hör ich sie rauschen in den Föhren,
Schon laßen sich ihre Vögel hören,
Und dort der Cumulus
Über dem Walde verspricht einen Regenguß.« –
»Adieu, Herr Langbein! Ich empfehle mich!« –
»Empfehl mich gehorsamst, Herr Dichterich!«
Schleunigst macht sich der Poet auf die Socken.
Im Winde flattern die Dichterlocken.
Er schaut nicht um.
Die Wolke naht sich mit Donnergebrumm.
Und als er sein kleines Hüttchen erreicht,
Ist er ganz durchweicht
Und durchgewaschen
Bis in die Taschen,
Vom Strohhut oben bis tief in die Schuh'. –
Gottlob! Jetzt macht er die Thüre zu!.

Einer
liebenswürdigen Frau,
die vermuthlich demnächst
im Juni
Ihr Wiegenfest
feiert,
geschrieben und
gezeichnet
von

Wilh. Busch.

Wiedensahl 1892.

870. An Nanda Keßler: Faksimile: Umschlagseite mit Sepiazeichnung
870. An Nanda Keßler: Faksimile: Erste Strophe

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Busch, Wilhelm. Briefe. 870. An Nanda Keßler. 870. An Nanda Keßler. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-1984-D